Sie
dicken Stummel ihrer Finger in den Körper und verschwanden bis zum ersten Knöchel. Blut tropfte auf den Boden. Die brechenden Augen des Geschöpfs quollen aus den Höhlen.
Sie warf den Kadaver in die Ecke und wischte sich dann die Hände gleichgültig am Laken ab. Lange rote Spuren blieben zurück.
»Jetzt hat sie Frieden.« Sie zuckte die Achseln, dann lachte sie. »Ich hole mein Gewehr, ja, Paul? Vielleicht ist die nächste Welt besser. Für Ratten und für Menschen - nicht dass zwischen den beiden ein großer Unterschied bestehen würde.«
»Nicht bevor ich fertig bin«, sagte er und betonte jedes Wort sorgfältig. Das war schwierig, denn ihm war zumute, als hätte jemand seinen Mund mit Novocain betäubt. Er hatte sie schon in depressiven Phasen erlebt, aber noch nie etwas Vergleichbares wie das hier; er fragte sich, ob es ihr schon jemals so schlecht gegangen war wie jetzt. Dies war der Zustand, in den Depressive verfielen, bevor sie ihre ganze Familie erschossen und dann sich selbst; es war die psychotische Verzweiflung einer Frau, die den Kindern die besten Sachen anzieht, ihnen ein Eis kauft, sie dann auf die
Brücke führt, jedes unter einen Arm nimmt und springt. Depressive bringen sich selbst um. Psychotiker, die in der vergifteten Wiege ihres eigenen Egos gewiegt wurden, wollen allen anderen in ihrer Nähe einen Gefallen tun und sie mit sich nehmen.
Ich bin dem Tod näher als jemals zuvor in meinem Leben, dachte er, denn sie meint es ernst. Das Miststück meint es ernst.
»Misery?«, fragte sie, fast als hätte sie das Wort noch nie vorher gehört - aber ganz kurz hatte der flüchtige Funke des Lebens in ihren Augen geglommen, oder nicht? Er glaubte es zumindest.
»Misery, ja.« Er dachte verzweifelt darüber nach, wie er fortfahren sollte. Jedes mögliche Vorgehen schien voller Fallstricke zu sein. »Ich stimme Ihnen zu, dass die Welt größtenteils ein ziemlich beschissener Ort ist«, sagte er und fügte dann geistlos hinzu: »Besonders wenn es regnet.«
O du Idiot, hör auf, dummes Zeug zu reden!
»Ich meine, ich hatte in den vergangenen Wochen ziemliche Schmerzen und …«
»Schmerzen?« Sie sah ihn mit bleicher, tiefer Verachtung an. »Sie haben keine Ahnung, was Schmerzen sind. Nicht die geringste Ahnung, Paul.«
»Nein … wahrscheinlich nicht. Verglichen mit Ihnen.«
»Das stimmt.«
»Aber - ich möchte dieses Buch zu Ende schreiben. Ich möchte miterleben, wie alles ausgeht.« Eine Pause. »Und ich möchte auch, dass Sie bleiben und es miterleben. Es hat keinen Sinn, ein Buch zu schreiben, wenn niemand da ist, der es liest. Verstehen Sie, was ich meine?«
Er lag mit klopfendem Herzen da und betrachtete dieses schreckliche Steingesicht.
»Annie? Verstehen Sie mich?«
»Ja …« Sie seufzte. »Ich möchte wissen, wie alles ausgeht. Ich glaube, das ist das Einzige auf der Welt, das ich immer noch möchte.« Langsam, offenbar ohne zu merken, was sie tat, fing sie an, das Blut der Ratte von ihren Fingern zu saugen. Paul biss die Zähne zusammen und sagte sich grimmig, dass er sich nicht übergeben würde, nicht übergeben, nicht übergeben . »Es ist, als würde ich auf das Ende eines Serials warten.«
Sie drehte sich plötzlich um, und das Blut auf ihren Lippen sah wie Lippenstift aus.
»Ich will es Ihnen noch einmal anbieten, Paul. Ich kann mein Gewehr holen. Ich kann dem allen für uns beide ein Ende machen. Sie sind kein Dummkopf. Sie wissen, dass ich Sie niemals von hier fortgehen lassen kann. Das ist Ihnen schon eine Weile klar, nicht wahr?«
Du darfst deine Augen nicht abwenden. Wenn sie sieht, dass du deine Augen abwendest, wird sie dich hier, auf der Stelle, umbringen.
»Ja. Aber alles hat ein Ende, Annie, nicht wahr? Wir alle sehen irgendwie dem Ende entgegen.«
Die Spur eines Lächelns in ihren Mundwinkeln; sie berührte sein Gesicht kurz und zärtlich.
»Ich glaube, Sie denken an Flucht. Wie eine Ratte in der Falle auch, auf ihre eigene Weise, dessen bin ich mir sicher. Aber Sie werden nicht entkommen, Paul. Wenn dies eine Ihrer Geschichten wäre, dann vielleicht, aber das ist es nicht. Ich kann Sie hier nicht weggehen lassen … aber ich könnte mit Ihnen gehen.«
Und plötzlich, für einen Augenblick, dachte er daran zu sagen: Also gut, Annie - nur zu. Machen wir dem allen ein Ende. Dann aber erhob sich sein Lebenswille - und der war trotz alledem noch ziemlich stark in ihm - und tobte und vertrieb die momentane Schwäche. Schwäche, genau das war es. Schwäche
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