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dass er in sein Zimmer zurückkehren sollte. Ein Tiefpunkt, aber es könnte schlimmer sein. Er konnte ein paar Tabletten nehmen und dann schreiben, bis er müde wurde. Dann konnte er schlafen gehen. Er bezweifelte, dass sie heute Nacht zurückkommen würde; der Sturm ließ keineswegs nach, er wurde im Gegenteil stärker. Die Vorstellung, in Ruhe zu schreiben und dann mit dem Wissen schlafen zu gehen, dass er vollkommen allein war, dass Annie nicht mit einer wüsten Idee oder einer noch wüsteren Forderung hereingeplatzt kommen würde, war sehr verlockend, Tiefpunkt oder nicht.
Er fuhr rückwärts aus der Vorratskammer, verweilte, bevor er das Licht ausschaltete; erinnerte sich daran, er musste
(nachwischen)
alles wieder in die richtige Ordnung bringen, während er seinen Rückzug bewerkstelligte. Wenn ihm das Essen ausging, bevor sie zurückkam, konnte er immer wieder zurückkommen und sich mehr holen,
(wie eine hungrige Ratte, richtig, Paulie?)
aber er durfte niemals vergessen, wie vorsichtig er sein musste. Es wäre nicht besonders schlau, wenn er vergessen würde, dass er jedes Mal sein Leben riskierte, wenn er sein Zimmer verließ. Das zu vergessen wäre überhaupt nicht schlau.
18
Als er durchs Wohnzimmer rollte, fiel ihm das Buch unter dem Kaffeetisch wieder auf. STRASSE DER ERINNERUNG. Es war so groß wie ein Shakespeare-Foliant und so dick wie eine Familienbibel.
Neugierig griff er danach und schlug es auf.
Auf der ersten Seite sah er einen einspaltigen Zeitungsausschnitt mit der Überschrift WILKES-BERRYMAN-HOCHZEIT. Darunter befand sich das Bild eines blassen Mannes mit schmalem Gesicht und einer Frau mit dunklen Augen und Schmollmund. Paul sah von dem Zeitungsfoto zu dem Porträt über dem Kaminsims. Keine Frage. In der Bildunterschrift wurde die Frau als Crysilda Berryman identifiziert (das wäre einmal ein Name, der eines Misery -Romans würdig wäre, dachte er ) , sie war Annies Mutter. Mit schwarzer Tinte und in sauberer Handschrift stand unter dem Zeitungsausschnitt: Bakersfield Journal, 30. Mai 1938.
Seite zwei war eine Geburtsanzeige: Paul Emery Wilkes, geboren im Krankenhaus von Bakersfield am 12. Mai 1939. Vater: Carl Wilkes; Mutter: Crysilda Wilkes. Der Name von Annies älterem Bruder verblüffte ihn. Er musste derjenige gewesen sein, mit dem sie ins Kino gegangen war und sich die Serials angesehen hatte. Ihr Bruder hatte auch Paul geheißen.
Seite drei gab die Geburt von Anne Marie Wilkes am 1. April 1943 bekannt. Das bedeutete, Annie hatte ihren vierundvierzigsten Geburtstag gerade hinter sich. Die Tatsache, dass sie am ersten April geboren worden war, entging Paul nicht.
Draußen heulte der Wind. Regen prasselte gegen das Haus. Fasziniert blätterte Paul weiter; die Schmerzen hatte er vorläufig vergessen.
Der nächste Ausschnitt war von Seite eins des Bakersfield Journal . Das Foto zeigte einen Feuerwehrmann auf einer Leiter vor dem Hintergrund lodernder Flammen, die aus dem Fenster eines Hauses herausquollen.
FÜNF TOTE BEI BRAND IN MIETSHAUS
Fünf Personen, vier davon Angehörige derselben Familie, starben in den frühen Morgenstunden des Mittwochs in einem Großfeuer in einem Mietshaus in Bakersfield in der Watch Hill Avenue. Drei der Toten waren Kinder - Paul Krenmitz, 8, Frederick Krenmitz, 6, und Alison Krenmitz, 3. Das vierte Opfer war ihr Vater, Adrian Krenmitz, 41. Mr. Krenmitz rettete das einzige überlebende Kind, Laurene Krenmitz, die achtzehn Monate alt ist. Wie Mrs. Jessica Krenmitz aussagte, drückte ihr Mann ihr das jüngste der vier Kinder in die Arme und sagte: »Ich werde mit den anderen in einer Minute zurück sein. Bete für uns.« »Ich habe ihn nie wiedergesehen«, sagte sie.
Das fünfte Opfer, Irving Thalman, 58, war ein Junggeselle, der im obersten Stockwerk des Gebäudes wohnte. Die Wohnung im zweiten Stock war zum Zeitpunkt des Brandes nicht vermietet. Die Familie von Carl Wilkes, die anfänglich als vermisst galt, hatte das Gebäude wegen eines Wasserrohrbruches in der Küche am Dienstagabend verlassen.
»Ich weine für Mrs. Krenmitz und ihren schweren Verlust«, sagte Crysilda Wilkes gegenüber einem Reporter des Journal , »aber ich danke Gott, dass er meinen Mann und meine eigenen Kinder verschont hat.«
Michael O’Whunn, Chef der Feuerwehr, sagte, dass das Feuer im Keller des Hauses ausgebrochen war. Nach der Möglichkeit einer Brandstiftung befragt, antwortete er: »Es ist wahrscheinlicher, dass ein Saufbold in den Keller geschlichen war,
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