Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sieben

Sieben

Titel: Sieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Frost
Vom Netzwerk:
Rest des Weges hinter sich, bog nach rechts in die Tower Gardens ab, ließ das Parlament hinter sich und ging dann Richtung Norden, am Victoria Embankment entlang. Das Verkehrsdurcheinander und die Geschäftigkeit, die er nur vage wahrnahm, erschienen ihm so unwirklich wie Geistererscheinungen. Endlich erreichte er Cleopatra's Needle. Wieviel Zeit war vergangen, seit er mit Jack hier gestanden und sich die Geschichte seines Bruders angehört hatte? Kaum zwei Wochen. Es kam ihm wie ein Jahrzehnt vor. Doyle wandte sich nach links, fort vom Fluß, und hielt auf den Strand zu. Beim ersten Herrenausstatter, auf den er stieß, erstand er eine Ledertasche, ein Paar robuste Schuhe, Socken, Hemden, Hosenträger, zwei paar Hosen, Unterwäsche und Rasierzeug. Bei einem Schneider auf der gleichen Straße bestellte er einen teuren Maßanzug. Die Änderungen würden etwa einen Tag erfordern, falls der Gentleman nichts dagegen habe. Der Gentleman erwiderte, daß er es nicht besonders eilig habe.
    Er verstaute seine Kleider in der neuen Tasche und mietete sich ein Zimmer im Hotel Melwyn. Er zahlte für fünf Tage und Nächte im voraus und erbat sich eine Suite an der Treppe im zweiten Stock. Ins Gästebuch trug er sich als »Milo Smalley, Esquire« ein. Der Angestellte, der ihn von seinem vorherigen Besuch nicht wiedererkannte, nahm ihn nicht besonders zur Kenntnis.
    Doyle badete, rasierte sich, kehrte in sein Zimmer zurück und zog die neuen Kleider an. Die Polizei war sicher noch immer an ihm interessiert - falls sie ihn nicht gar aktiv suchte -, doch all das kümmerte ihn nicht. Er verließ sein Zimmer und ging in den Abend hinaus. An einem Kiosk in Hotelnähe kaufte er sich zwei Bücher:
Die Abenteuer des Huckleberry Finn
und ein aus dem Sanskrit übersetztes Exemplar des
Bhagavad-Gita.
Er dinierte im Gaiety Restaurant, sprach mit niemandem, kehrte ins Hotel zurück und las Twain, bis der Schlaf ihn übermannte.
    Am nächsten Tag ging er über die Drury Lane zur Montague Street. Sparks' Wohnung war fest verschlossen; es gab nirgendwo ein Lebenszeichen, nicht einmal die Geräusche eines Hundes. Nachbarn, die man hätte befragen können, waren nicht zugegen. Auf dem Rückweg erstand er bei einem Herrenausstatter in der Jermyn Street einen Bowler und einen Regenschirm. Seinen neuen Anzug holte er am späten Nachmittag beim Schneider ab.
    Doyle hatte den grauen Kammgarnanzug kaum angezogen - es war der beste, den er je besessen hatte -, als es an der Tür klopfte. Ein Page brachte ihm eine Nachricht: Vor dem Hotel wartete eine Kutsche auf den Gentleman. Doyle gab dem Jungen ein Trinkgeld und bat ihn, dem Kutscher zu sagen, daß der Gentleman gleich käme.
    Er setzte den Bowler auf, schlüpfte in den Mantel, nahm den Schirm es sah nach Regen aus und ging zum Droschkeneingang hinunter. Der Kutscher war ihm unbekannt, doch im Inneren des zweirädrigen Gefährts saß Inspektor Claude Leboux. »Claude.«
    »Arthur«, sagte Leboux mit einem kurzen Nicken. Doyle nahm ihm gegenüber Platz. Leboux gab dem Kutscher ein Zeichen, und sie fuhren los. Leboux war nicht geneigt, ihm in die Augen zu sehen. Er erschien wütend und nachdenklich zugleich, war aber eindeutig nicht in der Stimmung für eine Konfrontation. »Istʹs dir gut ergangen?« fragte Doyle. »War schon besser.«
    Die Fahrt dauerte zwanzig Minuten, wobei Leboux zweimal auf seine Uhr schaute. Als die Kutsche ihre Fahrt verlangsamte, hörte Doyle, daß sich Tore öffneten, dann vernahm er das Echo von Hufschlägen, als sie durch eine Toreinfahrt fuhren. Die Kutsche hielt. Leboux stieg vor Doyle aus und führte ihn durch eine offene Tür, an der sie von einem stattlichen, würdigen Mann in den mittleren Jahren empfangen wurden. Er wirkte wachsam und intelligent, doch von zutiefst persönlicher Verantwortung belastet. Er kam Doyle irgendwie bekannt vor, aber er wußte nicht mehr, woher. Er nickte Leboux sowohl dankend als auch bestätigend zu und geleitete Doyle weiter.
    Sie durchquerten einen matt beleuchteten Vorraum, gingen durch einen engen, getäfelten Korridor und kamen in einen bequem eingerichteten Salon. Die Möbel waren auserlesen, doch unpersönlich. Der Mann deutete auf eine Couch und lud Doyle zum Platznehmen ein.
    »Warten Sie bitte hier«, sagte er. Es waren die ersten Worte, die er sprach.
    Doyle nickte, nahm den Hut ab und setzte sich. Der Mann verließ den Raum.
    Zuerst vernahm Doyle ihre Schritte - einen langsamen, würdevollen Fersenrhythmus auf dem Parkett, dann

Weitere Kostenlose Bücher