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Sieben

Sieben

Titel: Sieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Frost
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ihre gebieterische, goldene Stimme, die den Mann, der Doyle begleitet hatte, etwas fragte. Doyle hörte, daß sein Name fiel.
    Die Tür ging auf. Als sie eintrat, erhob er sich. Es war ein Schock, sie leibhaftig und aus dieser Nähe zu sehen. Sie war kleiner, als er sich vorgestellt hatte, kaum mehr als fünf Fuß groß, aber sie strahlte eine unerschrockene Präsenz aus, die durch den Raum floß und die Entfernung zwischen ihnen verringerte. Das vertraute Gesicht - schlicht, unbeugsam, jedem englischen Schulbuben so bekannt wie das der eigenen Mutter - war nicht im geringsten so ernst und unerbittlich, wie er es so oft gehört hatte. Der graue Haarknoten, ihr einfaches, matronenhaft schwarzes Wollkleid, das weiße Leinen ihres Kragens und die Mantille waren ihm so vertraut wie die Rückseiten der eigenen Handflächen. Als sie ihn sah, lächelte sie mit einer Lebhaftigkeit, die man auf Gemälden nie zu sehen bekam. Ihr Lächeln war verwirrend, ein Diamant in einem Feld von Sträußchen.
    »Dr. Doyle«, sagte Königin Victoria, »ich hoffe, ich habe Ihnen keine Ungelegenheiten bereitet.«
    »Nein, Eure Majestät«, sagte Doyle, vom Klang seiner eigenen Stimme überrascht, und verbeugte sich in der Hoffnung, dem Protokoll wenigstens in Ansätzen gerecht zu werden.
    »Es ist sehr freundlich von Ihnen, daß Sie gekommen sind«, sagte sie und nahm ohne großes Aufheben Platz. »Bitte.«
    Sie deutete auf den Sessel zu ihrer Rechten, und Doyle setzte sich. Ihm fiel ein, daß er irgendwo gelesen hatte, daß sie auf dem linken Ohr fast taub war. Sie wandte sich dem Mann zu, der Doyle in den Raum geführt hatte. »Danke, Ponsonby.«
    Henry Ponsonby - daher kenne ich ihn also, dachte Doyle, aus den Zeitungen -, der Privatsekretär der Königin, nickte und ging hinaus. Die Königin wandte sich wieder zu Doyle, und er spürte, wie sich die Willensstärke in ihren blaßgrauen Augen nun ganz auf ihn richtete. Sie glitzerten vor Herzlichkeit, aber wehe dem, dachte Doyle, der ihren Zorn zu spüren bekommt. »Es scheint, wir haben einen sehr guten gemeinsamen Freund«, sagte die Königin. »Tatsächlich?«
    »Einen wirklich sehr guten Freund.« Sie meint Jack, dachte er. »Ja. Ja, so ist es.« Sie nickte wissend. »Unser Freund hat uns kürzlich besucht. Er hat mir erzählt, daß Sie sich ihm in einer Angelegenheit als sehr, sehr hilfreich erwiesen haben, die für mich und meine Familie von nicht geringer Wichtigkeit war.«
    »Ich hoffe, er hat nicht übertrieben ...«
    »Unser Freund ist im allgemeinen nicht dafür bekannt, daß er ungenau ist. Ich würde sogar sagen, er ist äußerst vernarrt in die Präzision. Sind Sie nicht auch dieser Meinung?«
    »Gewiß. Ganz gewiß.«
    »Dann hätte ich also keinen Grund, seine Worte nicht ernst zu nehmen, oder?«
    »Nein, Ma'am - Eure Majestät.«
    »Und ebensowenig hätte ich einen Grund, meine tiefempfundene Dankbarkeit in Abrede zu stellen.«
    »Nicht im geringsten, Eure Majestät. Vielen Dank. Ich danke Ihnen sehr.«
    »Ich danke
Ihnen,
Dr. Doyle.« Sie nickte. Doyle neigte wohlerzogen den Kopf. »Man hat mir zu verstehen gegeben, daß Sie als Ergebnis Ihrer großzügigen Hilfe einige Schwierigkeiten mit der Londoner Polizei bekommen haben.«
    »Ja, leider ...«
    »Dann möchte ich Ihnen versichern, daß Sie dieser Sache keinerlei Beachtung mehr zu schenken brauchen.«
    »Ich ... Ich weiß es wirklich sehr zu schätzen.«
    Sie nickte erneut und schwieg einen Moment. Dann betrachtete sie ihn mit einer Art gütiger Zuneigung, wenn nicht gar mit Koketterie.
    »Sind Sie Ehemann, Doktor?«
    »Nein, Eure Majestät.«
    »Wirklich nicht? Ein kräftiger, stattlicher junger Mann wie Sie? Und zudem noch Arzt? Das ist ja unvorstellbar.«
    »Ich kann nur sagen, daß sich die passende ... Situation noch nicht für mich ergeben hat.«
    »Merken Sie sich meine Worte«, sagte sie, beugte sich vor und hob einen königlichen Finger. »Irgendwann wird Ihnen jemand begegnen. Der Ehestand ist zwar nicht immer das, was wir von ihm erwarten, aber wir entdecken bald, daß er genau das ist, was wir benötigen.«
    Doyle nickte freundlich und versuchte, sich ihre Worte zu Herzen zu nehmen. Sie lehnte sich zurück und kam ohne Übergang zum nächsten Thema ihrer Tagesordnung.
    »Was halten Sie vom Gesundheitszustand meines Enkels? Ich meine den Herzog von Clarence.«
    Nachdem Doyle so mühelos entwaffnet worden war, erschien ihm die Direktheit dieser Frage ein wenig unangenehm. »Ohne eine Gelegenheit gehabt zu

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