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Sieben Jahre

Sieben Jahre

Titel: Sieben Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Stamm
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herum, stieg etwas an und ließ sich dann auf den größeren Vogel herunterfallen. Der Milan korrigierte jeweils, nur mit einer kleinen Bewegung des Schwanzes, seine Kreise. Lange stand ich da und schaute fasziniert dem Schauspiel zu. Einmal schien der Milan aufzugeben, er machte einen weiten Kreis in die andere Richtung und verschwand hinter den Bäumen, aber dann war er wieder da, und die Krähe setzte ihre Angriffe fort. Ich wurde sehr ruhig. Was kann mir schon passieren, dachte ich, es ist nur eine Prüfung. Im schlimmsten Fall wiederhole ich sie in einem Jahr.
    Ich war froh, dass ich einen Termin früh am Tag hatte. Es war noch kühl im Saal, und es war kaum Publikum da. Sonja hatte kommen wollen, aber ich hatte gesagt, lieber nicht, das mache mich nur nervös. In einer der hinteren Reihen saßen meine Eltern und winkten mir zu, als ich nach vorne ging.
    Während der Präsentation verhaspelte ich mich ein paar Mal und brachte Dinge durcheinander, ich wies auf die Nähe zu Aldo Rossi hin, als könne ich meinen Kritikern so den Wind aus den Segeln nehmen. Der erste Experte äußerte sich zu meiner Überraschung ziemlich positiv zu meiner Arbeit, auch wenn, wie er sagte, die Anlehnung an gewisse Vorbilder unübersehbar sei. Der zweite redete ziemlich lange über ein Detail, die Treppenhäuser, die seiner Meinung nach zu eng waren, und schloss dann doch mit einer lobenden Bemerkung für den Bau. Die anderen Professoren, die anwesend waren, wollten sich nicht äußern, ich hatte den Eindruck, sie langweilten sich, oder sie sparten ihre Kräfte für die Studenten, die nach mir kamen. Nach einer Viertelstunde war alles vorbei, und ich verließ den Raum, gefolgt von zwei Helfern, die die Stellwände mit meinen Plänen und mein Modell hinausbrachten. Draußen standen schon die nächsten Prüflinge. Rüdiger war unter ihnen. Seine Augen glänzten, als stehe er unter Drogen. Ich klopfte ihm auf die Schultern und wünschte ihm viel Glück. Er lächelte unbestimmt und sagte kein Wort.
    Meine Eltern waren kurz nach mir aus dem Saal gekommen. Sie standen etwas abseits und strahlten vor Stolz. Ich redete noch ein wenig mit meinen Kommilitonen, dann ging ich zu ihnen. Ist doch gutgegangen, sagte mein Vater mit einem fragenden Ausdruck in der Stimme, und meine Mutter nickte, dabei war ich sicher, dass sie nur die Hälfte von dem verstanden hatten, was drinnen geredet worden war. Im Gegensatz zu mir hatten sie sich schöngemacht und wollten mich unbedingt zum Mittagessen einladen. Ich merkte, dass sie unsicher waren. Sie kamen mir viel älter vor hier, als wenn ich sie zu Hause besuchte in ihrer gewohnten Umgebung, und sie taten mir ein bisschen leid. Am Mittag ging ich mit ihnen in ein nicht allzu teures Gasthaus. Als wir uns nach dem Essen verabschiedeten, schienen wir alle drei erleichtert zu sein, die Sache überstanden zu haben.
    Am Freitag bekam ich meine Note, eine 2 , 0 , was mehr war, als ich erwartet hatte. Ferdi hatte dieselbe Note, Sonja eine 1 , 0 . Rüdiger hatte sich bei der Präsentation vergaloppiert und, als er es merkte, die Kommission gebeten, das Diplom in einem Jahr wiederholen zu dürfen, was ihm gewährt worden war.
     
    Am Abend der Notenverkündung gab es eine große Party. Wir tanzten bis in die Morgenstunden, und ich trank viel zu viel. Als ich nach Hause kam, dämmerte es bereits. Ich konnte lange nicht einschlafen, alles Mögliche ging mir durch den Kopf, und ich war erleichtert und fühlte mich zugleich ausgesetzt. Von nun an würde mir niemand mehr sagen, was ich zu tun und zu lassen hatte. Ich dachte an meinem neuen Entwurf herum. Es müsste möglich sein, Räume zu schaffen, die Gefühle erzeugten, die Freiheit und Offenheit, die ich verspürte, darzustellen und mitzuteilen. Ich sah hohe, transparente Säle, offene Treppenhäuser, Licht- und Schattenspiele. Ich war mir nicht sicher, ob ich träumte oder wach war, aber ich sah auf einmal alles sehr klar und deutlich vor mir.
    Ich erwachte am frühen Nachmittag, mir war immer noch schwindlig vom Alkohol. Ich hatte nicht zugesagt, zu Rüdigers Party zu kommen, und am Abend zögerte ich lange, ob ich hingehen sollte. Ich fühlte mich nicht besonders, und ich befürchtete, Alice dort zu treffen. Schließlich fuhr ich doch.
    Rüdigers Eltern hatten ein Haus in Possenhofen, direkt am Starnberger See. Sein Vater war Wirtschaftsanwalt und arbeitete für die Autoindustrie, soweit ich wusste, hatte schon der Großvater Geld gehabt. Rüdiger prahlte nie mit

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