Sieben Siegel 03 - Die Katakomben des Damiano
Kerkerlöchern. Ich glaube nicht, dass viele von denen überhaupt noch in die Luft kommen.«
Chris grinste bitter. »Soll uns das nun freuen oder nicht?«
Das war eine berechtigte Frage. Zum einen verminderte das die Gefahr für die Außenwelt, denn über den Starkstromzaun kamen die Kreaturen nicht hinweg. Andererseits aber würde das Abteigelände bald nur so wimmeln von mordlustigen Bestien, die gewiss nicht glücklich darüber waren, hier eingesperrt zu sein.
»Hey«, meinte Nils bitter, »da können wir doch verdammt noch mal froh sein für die Leute in Saturnia! Und wenn wir uns noch freiwillig auffressen lassen, sind die Viecher vielleicht so satt, dass sie nicht mal versuchen werden auszubrechen.«
Alle schwiegen betreten. Erst allmählich wurde ihnen bewusst, wie aussichtslos ihre Lage war.
»Seht mal, da drüben«, sagte Chris, als sie sich nebeneinander an den Rand des Dickichts kauerten und das Klosterportal beobachteten.
Er deutete mit ausgestrecktem Arm auf einen zitronengelben Motorroller, der unweit der Tunnelöffnung an der Mauer stand.
»Doktor Richardsons Vespa«, sagte Nils. »Na und? Wir können ja wohl kaum zu fünft darauf abhauen.«
»Wer redet denn von abhauen?«
»Was denn sonst? Wolltest du eine Spritztour machen?«
Chris schenkte Nils einen finsteren Blick. »Die Monster sind schnell. Verflucht schnell. Und die Unterkünfte liegen im Ostflügel, also auf der anderen Seite. Es ist ein ganz schönes Stück bis dahin.«
Kyra ahnte, welchen Plan er hatte. »Du meinst, einer von uns sollte auf der Vespa durchs Kloster fahren? Ist das dein Ernst?«
»Ich werd’s versuchen«, sagte Chris. Sein Tonfall verriet, dass er keinen Widerspruch duldete. »Mit dem Motorroller bin ich vielleicht schneller als die Gargoyles. Auf jeden Fall schneller als zu Fuß.«
»Und ungefähr hundertmal lauter«, wandte Lisa ein. »Die werden sofort wissen, dass du da bist – und wo du bist.«
»Die meisten von denen sind sicher noch im Keller. Vielleicht haben sie Angst vor dem Licht. Ich meine, die waren jahrhundertelang eingesperrt …« Chris schaute wieder zu der gelben Vespa hinüber, so, als rase er darauf in Gedanken schon durch die Klostergänge. »Aber wer weiß, wie lange es noch dauert, bis sie sich mit dem Gedanken an Sonnenschein angefreundet haben. Spätestens dann müssen wir hier weg sein. Begreift ihr denn nicht? Wir haben keine Zeit mehr!«
Kyra sah ein, dass er Recht hatte. »Gut. Aber warum ausgerechnet du?«
»Weil ich schon auf so einem Ding gefahren bin«, erwiderte er und zeigte auf die Vespa. »Na ja, zumindest auf ein paar Mofas. Nicht in allen Ländern, in denen ich mit meinen Eltern gewohnt hab, sieht man das so streng wie in Deutschland.«
Dagegen ließ sich kaum etwas einwenden. Weder Kyra, Nils noch Lisa wussten, wie man einen Motorroller bedient.
Kyra nickte Chris zu. »Dann versuch’s. Und bring alles mit, das uns irgendwie helfen könnte. Doktor Richardson beschäftigt sich schon seit Jahren mit Damiano und seinen Wasserspeiern. Vielleicht steht in ihren Unterlagen irgendwas Nützliches.«
»Okay.« Nils schenkte Chris ein aufmunterndes Lächeln. »Manchmal bist du … na ja, ziemlich klasse.«
Dies ausgerechnet von Nils zu hören, mit dem er sich ständig in der Wolle hatte, schien Chris zu irritieren. Dann aber erwiderte er Nils’ Grinsen, und alle sahen ihm an, dass er sich über das Lob freute.
Lisa dagegen wirkte bedrückt. »Du passt doch auf dich auf, oder?«
Chris hob die Hand und griff sanft hinter Lisas Ohr, so, als wollte er ihr über das strohblonde Haar streicheln. Dann jedoch zog er die Finger schnell wieder zurück. In seiner Handfläche lag der steinerne Krallenfinger eines Wasserspeiers. »Das steckte hinter deinem Ohr. Behalt’s als Glücksbringer.«
Lisa nahm es verwirrt entgegen. »Hinter meinem Ohr?«
Kyra schenkte Chris einen zweifelnden Blick. »Konntest du so was schon immer? Zauberkunststücke, meine ich.«
Er grinste noch breiter und schob sich eine schwarze Haarsträhne aus der Stirn. »Nee, ganz plötzlich. Seit … ja, seit wir die Siegel tragen.«
Damit wandte er sich ab und lief los, über den schmalen Grasstreifen zwischen Dickicht und Klostermauern, geradewegs auf das Portal und den Motorroller zu.
Seine drei Freunde starrten ihm hinterher, Lisa und Nils angstvoll, Kyra nachdenklich.
Also haben die Sieben Siegel auch Chris verändert, dachte Kyra. Sie hatte sich die ganze Zeit über gefragt, welche Wandlung wohl mit ihm
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