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Sieben Siegel 06 - Die Nacht der lebenden Scheuchen

Sieben Siegel 06 - Die Nacht der lebenden Scheuchen

Titel: Sieben Siegel 06 - Die Nacht der lebenden Scheuchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Nils.
    »Nur solche, die vom Erdreich zerdrückt worden sind«, sagte Kyra. »Dabei sind die Nägel rausgebrochen. Schaut doch mal, offenbar hat er nur für jene Schädel Verwendung gehabt, die samt der Nägel erhalten geblieben sind.«
    Tatsächlich fanden sie nur sehr wenige Totenschädel, und diese waren völlig zertrümmert. Nirgends war einer zu sehen, in dem noch der Nagel steckte.
    Lisa sah sich furchtsam um. »Wenn es jetzt einen Erdrutsch gibt, werden wir nicht nur unter Schlamm, sondern auch noch unter Pestgerippen begraben. Ist euch das eigentlich klar?«
    »Nett, dass du uns dran erinnerst«, erwiderte Nils.
    »Kommt, wir laufen noch ein wenig weiter, bevor es ganz dunkel wird«, sagte Kyra. Und damit eilte sie auch schon los.
    Nils schüttelte fassungslos den Kopf. »Es ist ganz dunkel. Wenigstens fast.«
    Chris zuckte nur mit den Schultern und folgte Kyra. Lisa gesellte sich nach kurzem Zögern zu ihm, und auch Nils ging hinterher.
    Kyra war in ihrem Eifer nicht zu bremsen. Mochte die Umgebung des Pestgrabes auch noch so grauenvoll sein – Kyra ließ sich nicht aufhalten. Zumindest nicht von ihrer Furcht.
    Erst als sich eine Gestalt vor ihr aus der Finsternis schälte, blieb sie abrupt stehen.
    »Nicht schon wieder!«, keuchte Nils.
    Eine Vogelscheuche stand am Boden des Grabens und wandte ihnen das Leinengesicht zu. Ihre ausgebreiteten Arme reichten von einer Wand zur anderen und versperrten den Freunden den Weg.
    »Sie wissen, dass wir hier sind«, flüsterte Kyra.
    » Wer weiß , dass wir hier sind?«, fragte Lisa.
    »Die Vogelscheuchen. Oder die Mächte, die sie kontrollieren. Boralus. Vielleicht Samuel Wolf.«
    »Da vorn kommen wir nicht weiter«, sagte Chris.
    Kyra nickte. »Alle Mann zurück.«
    Sie warfen sich herum und liefen in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Immer wieder stolperten sie über Gebeine, die im Boden steckten. Einmal mussten sie sich bücken, weil in Kopfhöhe ein Knochenarm aus dem seitlichen Erdreich ragte.
    Schneller, schneller, schneller …
    Aber ganz gleich, wie schnell sie rannten – sie wurden bereits erwartet.
    Eine zweite Vogelscheuche stand dort, wo sie in die Grube herabgesprungen waren. Auch sie blickte ihnen stumm entgegen und versperrte den Weg.
    »Die versuchen, uns festzusetzen«, rief Chris. Eine Spur von Panik lag in seiner Stimme.
    Den anderen erging es nicht besser. Plötzlich hatten sie alle schreckliche Angst. Lisa sah ihren Kopf schon auf einer Vogelscheuche stecken, mit tief herabgezogenem Strohhut und flatternden Stofffetzen um den Schultern. Bei diesem Gedanken wurde ihr so schlecht, dass sie sich am liebsten übergeben hätte.
    Nils überwand als Erster seinen Schrecken.
    »War da vorne nicht eine Abzweigung?«, rief er den anderen zu.
    Sie rannten knapp zehn Meter zurück, wo auf der rechten Seite ein Graben einmündete. Zu ihrem Entsetzen sahen sie, dass die erste Vogelscheuche näher gekommen war. Sie stand nur noch zwei Schritte von der Abzweigung entfernt. Wenn sie nur ein paar Sekunden später umgekehrt wären, hätte sie ihnen den einzigen Fluchtweg abgeschnitten.
    Panisch stürmten sie in den zweiten Graben. Er führte am Wurzelwerk einer mächtigen Eiche vorüber. Um sie herum ragten weitere Knochen ins Freie.
    Chris lief vorneweg. Deshalb sah er als Erster, was alle insgeheim befürchtet hatten.

Eine dritte Scheuche erwartete sie bereits am anderen Ende des Grabens. Mit weit gespreizten Armen. Toten Augen. Geisterhaftem Schweigen.
    Jetzt gab es keinen Ausweg mehr.
    Sie waren eingekesselt.
    Und bei jedem Blinzeln, jedem Wegschauen kamen die drei Mörderscheuchen näher.
     
    Kälte wehte aus den Gängen des Stadtarchivs heran. Herr Fleck konnte sie ganz deutlich spüren. Und das beunruhigte ihn.
    Er hatte bereits so viele Jahrzehnte hier unten verbracht, dass er sich längst an die unterirdischen Luftströme gewöhnt hatte. »Kälte?«, hatte er manches Mal gefragt, wenn Besucher fröstelten und eine Gänsehaut bekamen. »Hier unten?« Und dann hatte er geheimnisvoll gelächelt, weil er das so gerne tat. Es gefiel ihm, dass die Menschen in Giebelstein ihn für sonderbar und rätselhaft hielten.
    Jetzt aber konnte er die eisigen Ströme aus den finsteren Tiefen der Archivkatakomben zum ersten Mal wahrhaftig fühlen. Sie ließen ihn schaudern. Mit einem Zittern zog er seine Strickjacke enger um den Oberkörper. Dann sah er sich aufmerksam um.
    Er hielt sich in einem Teil der Gewölbe auf, den er nur selten aufsuchte. Hier lagen

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