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Sieben Siegel 10 - Mondwanderer

Sieben Siegel 10 - Mondwanderer

Titel: Sieben Siegel 10 - Mondwanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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längst begonnen, den hohen Erdwall und die stählernen Schienen zurück zu erobern.
    Jetzt aber waren die Gleise nicht länger nur zugewuchert.
    Etwas Finsteres, Klobiges thronte hoch oben auf dem Damm, ein dunkler Umriss wie die Segmente eines mächtigen, nachtfarbenen Riesenwurms.
    »Das sind –«
    »Waggons«, führte Lisa Chris’ Satz zu Ende. Zugleich aber dachte sie: Ja, es sind Waggons, aber irgendwie sind es auch keine.
    Ihre Form stimmte nicht.
    Die Silhouetten schienen sich im Nebel zu bewegen, zu flackern, zu zittern. Möglich, dass es nur an den Schwaden lag, die den Anblick verzerrten. Möglich aber auch, dass wirklich etwas nicht so war, wie es hätte sein sollen.
    Chris senkte seine Stimme zu einem Flüstern.
    »Wo kommen die her?«
    »Keine Ahnung.«
    »Du wohnst länger hier als ich. Wohin führen die Schienen?«
    »Das weiß keiner so genau«, wisperte Lisa. »Außer vielleicht Herr Fleck. Uns hat man früher immer nur erzählt, dass sie das letzte Teilstück einer uralten Bahnverbindung aus dem 19. Jahrhundert sind, die irgendwann abgerissen wurde.«
     

»Aber dann hätten die Schienen ja keinen Anfang und kein Ende mehr.«
    Lisa nickte.
    »Und wie sollen dann die Waggons auf die Gleise gekommen sein?«, fragte Chris.
    Lisa atmete tief durch. »Sieht so aus, als müssten wir sie uns mal aus der Nähe anschauen.«
    Beide blickten gleichzeitig auf ihre Unterarme. Sie bemerkten es und mussten grinsen; der Blick war ihnen längst in Fleisch und Blut übergegangen.
    Die Siegel waren noch immer nicht erschienen.
    »Okay«, meinte Chris und seufzte. »Los geht’s.«
    Mit einem Kribbeln im Bauch ergriff Lisa die Hand, die er ihr entgegenstreckte. Ihre Blicke trafen sich, hafteten für einen kurzen Moment aneinander.
    Dann erklommen sie gemeinsam das letzte Stück der Schräge und traten auf den Bahndamm.

Die Schattenshow
    Wie Teile einer Festung erhoben sich die drei Waggons aus dem Nebel. Lisa und Chris schlichen zwischen den Schienensträngen an sie heran. Plötzlich hielt Lisa inne und zeigte stumm auf die Gleise. Die Räder der Waggons hatten sie so blank poliert, als passierte jeden Tag ein Dutzend Züge diese Stelle.
    Chris bückte sich und strich mit einem Finger über den sauberen Stahl. »Merkwürdig. Wie kann ein einziger Zug die Gleise derart sauber scheuern?«
    Lisa schüttelte den Kopf. »Das ist unmöglich. Die Schienen waren schließlich dick verrostet.«
    »Trotzdem hat er’s getan.«
    »Sieht aus, als hätte jemand mit Schmirgelpapier darüber gerieben.«
    »Oder mit großem Druck.«
    »Großem Druck?«
    Chris nickte. »Wenn die Waggons besonders schwer wären, könnten sie so viel Druck auf die Räder ausgeübt haben, dass sie sogar den Rost abgeschmirgelt haben.«
    »Aber dann müssten sie viel, viel mehr wiegen als andere Bahnwaggons.«
    »Zehn- oder fünfzehnmal so viel«, pflichtete Chris ihr bei. »Mindestens.«
    Lisas Blick wanderte hinüber zu den schwarzen Kolossen. Die Außenwände waren fensterlos und vollkommen glatt. Nach wie vor konnte sie nur drei Waggons ausmachen, aber es war durchaus möglich, dass sich weiter vorne, verborgen im Nebel, auch eine Lokomotive befand. Wie sonst hätten die Waggons hierher gelangen sollen – zumal, wenn sie wirklich um ein Vielfaches mehr Gewicht besaßen als üblich? Und welche Lokomotive hatte überhaupt eine solche Kraft?
    »Hörst du irgendwas?«, fragte Lisa unvermittelt.
    »Nichts.«
    »Warum sind keine Menschen hier?«
    »Vielleicht wurden die Waggons nur zwischengeparkt«, mutmaßte Chris, war aber wohl selbst nicht überzeugt davon, denn er schüttelte gleich darauf den Kopf. »Die sehen nicht aus wie normale Eisenbahnwaggons.«
    Sie setzen sich wieder in Bewegung und erreichten gebückt das hintere Ende des letzten Waggons. Es gab weder eine Tür, die ins Innere führte, noch einen Mechanismus, an dem weitere Wagen hätten andocken können. Die Wände waren so glatt wie Porzellan, und auch die Räder sahen anders aus, als Lisa es von normalen Zügen in Erinnerung hatte. Irgendwie größer. Und schwerer. Und welchen Zweck hatten all die kleinen Spitzen, die aus den Rädern ragten und sich wie winzige Tentakel an den Gleisen festgesaugt hatten?
    Lisa gefiel diese Entdeckung überhaupt nicht. Die Spitzen verliehen den Waggons etwas seltsam Organisches – so als wären sie nicht gebaut worden, sondern gewachsen.
    Chris berührte die Außenwand des Waggons.
    »Warm«, stellte er verblüfft fest. »Was für ein Material ist denn

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