Sieben Siegel 10 - Mondwanderer
Brennnesseln und fuhren, so schnell es der Nebel zuließ, zurück in die Stadt.
Hinter dem Stadttor stieg Chris plötzlich in die Bremsen. »Warte mal.«
»Was denn?«
»Sieh mal, das Schaufenster.« Er zeigte auf die Auslage von Tante Kassandras Teeladen. An der Scheibe klebte ein Plakat. »Das hing vorhin noch nicht da«, sagte Chris. »Da bin ich ganz sicher.«
Lisa fuhr näher heran und las:
DIE SCHATTENSHOW
Heute um Mitternacht!
Ihr wisst schon, wo.
Sie sahen einander an, und Lisa bemerkte, dass Chris offenbar ebenso unwohl zu Mute war wie ihr selbst. Die letzte Zeile – Ihr wisst schon, wo – beunruhigte sie am meisten. Damit konnten doch unmöglich sie gemeint sein.
Oder?
Sie sprangen von den Rädern, lehnten sie gegen das Schaufenster und betraten den Laden. Ein Bimmeln ertönte, als die Tür hinter ihnen zufiel.
Der Duft hunderter Teesorten schlug ihnen entgegen, würzig und aromatisch, und doch eine Spur zu intensiv für Lisas Geschmack. Die Wände des urigen kleinen Raums waren voller Regale, in denen eine Unzahl bunter Teedosen stand. Direkt vorm Fenster befand sich ein runder Tisch, an dem Kunden den Tee ihrer Wahl kosten durften.
Oft saßen dort die vier Freunde und ließen Kassandras neueste Teesorten über sich ergehen. So nett Kyras Tante auch war, so unmöglich war es, sie abzuweisen, wenn sie einem eine ihrer exotischen Neuentdeckungen unter die Nase hielt. Lisa hoffte nur, dass sie diesmal davon verschont bleiben würden.
»Ach, ihr seid’s!«, rief Tante Kassandra, als sie durch die Hintertür den Laden betrat und die beiden entdeckte. »Hallo. Wie geht’s deinem Bruder, Lisa?«
»Schon viel besser. Tag, Frau Rabenson.«
Chris nickte ihr zu. »Hallo!«
Kassandra deutete auf die Stühle am Tisch.
»Setzt euch doch.«
»Wir haben eigentlich gar keine Zeit«, sagte Lisa rasch. »Kyra wartet im Stadtarchiv auf uns.«
Kassandras Miene verfinsterte sich. »Seit Dea wieder aufgetaucht ist, verbringt Kyra viel zu viel Zeit dort unten.«
Lisa wusste nicht recht, ob sie Kassandras Worten zustimmen sollte, auch wenn sie insgeheim ihre Ansicht über Kyras Eigenbrötlerei teilte. Zumindest nach außen hin aber war sie nicht gern einer Meinung mit Erwachsenen.
»Wir wollten eigentlich nur fragen, wer das Plakat draußen am Fenster aufgehängt hat.«
»Ein Plakat?« Kassandras Blick fiel erstaunt auf die Rückseite des Aushangs draußen an der Scheibe. »Das ist ja ein Ding! Da hätte man mich wenigstens fragen können!«
Sie trat ins Freie und riss das Plakat herunter. Es hatte scheinbar wie von selbst am Glas gehaftet, als hätte es eine stetige Windböe dagegen gedrückt. Stirnrunzelnd brachte Kassandra es mit in den Laden.
»Wisst ihr, was das zu bedeuten hat?«, fragte sie, nachdem sie die Aufschrift gelesen hatte.
»Nicht wirklich«, sagte Chris. »Na ja, wir haben da so ’ne Ahnung …«
Kassandras rechte Augenbraue zuckte alarmiert nach oben. »Schon wieder die Siegel?« Sie wusste über alles Bescheid. Schon zweimal war sie Kyra und den anderen zu Hilfe gekommen – so auch beim Kampf gegen den wieder erweckten Hexenmeister Abakus, bei dem die Freunde die Siegel verliehen bekommen hatten. Wie kein anderer erlebte Kassandra die Abenteuer der vier Freunde mit und litt dabei ständig unter der Gewissheit, dass sie nichts gegen den Einfluss der magischen Male unternehmen konnte. Die Freunde waren letztlich auf sich selbst gestellt.
»Bisher sind die Siegel noch nicht erschienen«, sagte Lisa widerstrebend. Als Beweis präsentierte sie Kassandra ihren Unterarm. »Sehen Sie?«
Kassandra blieb argwöhnisch. »Aber ihr habt doch einen Verdacht?«
»Wissen Sie vielleicht, wohin die alten Bahnschienen führen?«, fragte Chris.
»Nirgendwohin. Als ich noch ein Kind war, wollten wir immer daran entlanggehen, bis zum Ende, aber dann haben wir es doch nie getan.«
»Glauben Sie, Herr Fleck könnte uns weiterhelfen?«
Kassandra nickte. »Im Zweifelsfall weiß er alles über diesen Ort. Und was ihm gerade nicht einfällt, kann er in seinem Archiv nachschlagen.« Sie schenkte den beiden ein mahnendes Lächeln. »Aber habt ihr mir nicht gerade erzählt, ihr kommt aus dem Stadtarchiv?«
Lisa und Chris wechselten einen raschen Blick. »Ähem, nein … Ich hab nur gesagt, dass Kyra dort auf uns wartet«, meinte Lisa schließlich.
»So, so. Dann wart ihr also nicht zufällig gerade am Bahndamm?«
Chris seufzte. »Doch, schon. Deshalb wollen wir ja mehr darüber
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