Sieben Tage für die Ewigkeit - Roman
auf. Ein scharfkantiger Querträger schoss mit atemberaubender Geschwindigkeit hinab. Wenn sich seine blitzschnelle Kalkulation als richtig erwies, was immer der Fall war, so war nichts verloren. Er trat lässig auf die Straße, zwang dadurch den Müllfahrer, das Tempo zu drosseln. Der Eisenträger traf auf das Führerhaus, bohrte sich in den Brustkorb des Fahrers, und der Wagen machte einen ruckartigen Schlenker. Den beiden Müllmännern auf ihrer Plattform blieb nicht einmal Zeit zu schreien: Einer wurde von der weit klaffenden Öffnung des Wagens verschlungen und augenblicklich von den Mahlwerkzeugen zermalmt, die unerschütterlich weiter ihren Dienst taten, der andere wurde nach vorn geschleudert und glitt der Länge nach über das Pflaster. Die Vorderachse des Wagens überrollte sein Bein.
Bei seiner Weiterfahrt prallte der Laster gegen einen Laternenpfahl, der umknickte. Die jetzt freigelegten Stromkabel fielen in das Schmutzwasser des Rinnsteins. Eine Funkengarbe kündigte einen großartigen Kurzschluss an, der den ganzen Häuserblock ergriff. Im Viertel fielen alle Ampeln aus, sie waren nur noch schwarz wie der Anzug von Lukas. Aus der Ferne war schon der Lärm der ersten Unfälle an den sich selbst überlassenen Kreuzungen zu hören. An der Ecke Crosby Street und Spring war der Zusammenstoß des Müllwagens mit dem gelben Taxi unvermeidlich. Seitlich getroffen schob sich das Yellow Cab in das Schaufenster des Shops des Modern Art Museum. »Ein neues Kunstwerk für ihre Vitrine«, murmelte Lukas. Die Vorderachse des Müllwagens schob sich auf ein parkendes Fahrzeug, die blinden Scheinwerfer gen Himmel gerichtet. Der schwere Laster krümmte sich mit einem Scheppern von zerreißendem Blech, bevor er sich auf die Seite legte. Die Tonnen von Müll, die er beförderte, ergossen sich aus seinen Gedärmen und bedeckten die Fahrbahn mit einem Teppich aus Unrat. Auf den Lärm des fesselnden Dramas folgte Totenstille. Unbekümmert setzte die Sonne ihre Bahn fort, durch die Hitze ihrer Strahlen würde die Luft sich schnell zu Pestgestank verwandeln.
Lukas rückte den Kragen seines Oberhemds zurecht; er hasste es, wenn die Reversspitzen aus seinem Jackett schauten. Er betrachtete das Ausmaß der Katastrophe ringsum. Es war kurz vor neun auf seiner Uhr, und letztendlich kündigte sich ein herrlicher Tag an.
Der Kopf des Taxifahrers ruhte auf dem Lenkrad und drückte auf die Hupe, die im Gleichklang mit dem Horn der Schleppkähne im New Yorker Hafen ertönte, einem unvergleichlichen Ort bei schönem Wetter, wie an diesem Sonntag im Spätherbst. Lukas war auf dem Weg zum Hafen. Von dort aus würde ihn ein Hubschrauber zum Airport LaGuardia fliegen, seine Maschine würde in sechsundsechzig Minuten starten.
*
Der Pier 80 des Handelshafens von San Francisco war ausgestorben. Zofia legte langsam den Hörer auf die Gabel und trat aus der Telefonzelle. Mit zusammengekniffenen Augen betrachtete sie den Pier gegenüber. Ein Schwarm von Männern machte sich dort an riesigen Containern zu schaffen. Aus ihren Kabinen hoch oben am Himmel dirigierten die Kranführer ein subtiles Ballett von Auslegern, die sich über einem riesigen Lastschiff, das zur Abfahrt nach China bereitlag, kreuzten. Zofia seufzte. Auch mit dem besten Willen der Welt ausgestattet konnte sie doch nicht alles allein tun. Sie hatte so manche Gabe, aber nicht die der Allgegenwart.
Der Nebel bedeckte schon die Fahrbahn der Golden Gate Bridge. Aus der dichten Wolke, die sich in die Bucht wälzte, waren bald nur noch die Pfeilerenden zu sehen. In wenigen Augenblicken würde aus Sichtmangel jede Hafentätigkeit eingestellt. Zofia, bezaubernd in ihrer Uniform des diensthabenden Sicherheitsoffiziers, blieb kaum Zeit, die gewerkschaftlich organisierten Vorarbeiter daran zu erinnern, dass ihre nach Stunden bezahlten Docker ihre Arbeit beenden mussten. Wenn sie nur richtig wütend werden könnte! Ein Menschenleben müsste doch wohl schwerer wiegen als ein paar hastig verladene Kisten. Aber die Menschen würden sich nicht so schnell ändern, sonst müsste sie nicht hier sein.
Zofia liebte die Atmosphäre, die auf den Docks herrschte. Sie hatte hier immer viel zu tun. Das ganze Elend der Welt gab sich im Schatten der Lagerhäuser ein Stelldichein, wo die Obdachlosen sich gern niederließen, kaum geschützt vor dem Herbstregen, vor den eisigen Winden, die der Pazifik im Winter über die Stadt trieb, und vor den Polizeipatrouillen, die sich, ganz gleich zu welcher
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