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Siebenschön

Siebenschön

Titel: Siebenschön Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Winter
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Begegnung, was Em verstehen konnte. Mich würde es vermutlich auch nicht kaltlassen, wenn ein Mörder mein Umfeld dezimierte, dachte sie und schluckte, als für den Bruchteil einer Sekunde wieder die seltsam geschlechtslose Schrift vor ihr aufblitzte.
    Signora Capelli, welche Freude!
    »Aber wenn Sie mit Eberhard Kindle befreundet waren«, wandte sie sich wieder an Westen. »Sind Sie seiner Frau da nicht irgendwann mal begegnet?«
    Er überlegte. »Ich glaube nicht.«
    »Was ist mit der Hochzeit?«, fragte Zhou aus ihrer Deckung heraus. »Waren Sie eingeladen?«
    »Nein.« Seine blauen Augen verweilten bei Em. »Die beiden haben in aller Stille geheiratet. Irgendwo in der Karibik, glaube ich.«
    »Aber den Prozess haben Sie doch sicher verfolgt?«, übernahm Em.
    »Natürlich.« Er entspannte sich ein wenig. »Ich habe sogar ausgesagt.«
    »Als Gutachter?«
    »Nein.«
    »Wieso nicht?«, fragte sie.
    »Ich habe Ihnen doch bereits gesagt, dass ich so was nicht mehr mache.«
    »Was?«
    »Gutachten.« Er seufzte. »Ich habe als Privatmann ausgesagt. Als Eberhards Freund. Es ging um die Frage, wie es um seine seelische Befindlichkeit bestellt war.«
    »Sie meinen, wie Herr Kindle zum Beispiel mit seiner Krebsdiagnose umging?«
    »Genau. Ein gemeinsamer Freund bat mich, ihn zu unterstützen. Ich sollte bestätigen, dass Eberhard kein Mensch war, der zu Depressionen oder gar Suizidgedanken neigte. Was mir nicht schwerfiel, nebenbei bemerkt.«
    Die Aussage deckte sich mit dem, was Em bereits wusste. »Haben Sie zu dieser Zeit auch mit Kindle selbst gesprochen?«, fragte sie. »Nach der Diagnose, meine ich.«
    »Ja, er rief mich an, nachdem sein Hausarzt ihm die frohe Botschaft überbracht hatte, dass er innerhalb des nächsten halben Jahres sterben werde.« Westen schüttelte den Kopf. Offenbar machte ihn das fehlende Einfühlungsvermögen des Arztes noch im Rückblick wütend. »Und natürlich war Eberhard geschockt. Jeder wäre das.« Er atmete tief durch. »Aber ich konnte aus seinen Worten beim besten Willen nichts heraushören, das auf eine Selbstmordabsicht hingedeutet hätte. Und genau das habe ich vor Gericht auch ausgesagt.«
    Em nickte. »Ich verstehe. Aber eins ist mir noch nicht klar: Wieso hat er gerade Sie angerufen, wo Sie doch gar nicht so eng befreundet waren?«
    »Das hat mich, ehrlich gesagt, auch etwas gewundert.« Er schwieg kurz, bevor er weitersprach. »Vermutlich wollte er zunächst mit jemandem reden, der unbeteiligt war und sachlich reagierte.«
    Das schien ihr durchaus plausibel. »Was hielten Sie von Sarah Kindles Freispruch?«
    »Ich habe ihn bedauert.«
    Heißt im Klartext, dass er sie für schuldig hielt, resümierte Em. Laut sagte sie: »Nur bedauert?«
    Er hob die Schultern. »Ich habe schon viel zu lange mit all dem zu tun, um mir im Hinblick auf die sogenannte Gerechtigkeit noch irgendwas vorzumachen.«
    »Und was halten Sie von Leuten, die das Gesetz selbst in die Hand nehmen?« Zhous Frage knallte durch den Raum wie ein Peitschenhieb, und selbst Em zuckte angesichts ihrer Schärfe erschrocken zusammen. Ihre Partnerin stand noch immer bei der Tür, und sowohl Westen als auch sie hatten ihre Anwesenheit beinahe vergessen.
    Em sah, wie sich der Blick des Psychologen verdunkelte. »Wie meinen Sie das?«, fragte er, um Zeit zu gewinnen.
    Offenbar hatte ihre Partnerin ihn tatsächlich kalt erwischt.
    »Meine Frage war doch völlig eindeutig«, gab Zhou zurück, und Em registrierte zum ersten Mal, seit sie einander kannten, dass sie gefährlich sein konnte. Brandgefährlich.
    Westen blickte an ihr vorbei. »Ich billige Selbstjustiz ebenso wenig wie Mord, falls es das ist, was Sie wissen möchten.«
    Doch Zhous Antwort bestand lediglich in einem hintergründigen Lächeln.
    Em warf ihr einen anerkennenden Blick zu. Dann übernahm sie selbst wieder das Ruder: »Wie war es für Sie, zusehen zu müssen, wie die Mörderin Ihres Freundes mit ihrer Tat davonkommt und obendrein auch noch ein großes Vermögen erbt?«
    »Ein Vermögen, für das Ihr Freund ein Leben lang hart gearbeitet hat«, ergänzte Zhou in ihrem Rücken.
    »Herrgott!«, fuhr Westen auf, und Em war ehrlich erstaunt, dass er sich derart aus der Reserve locken ließ. Überhaupt schien er dünnhäutiger als bei ihrer ersten Begegnung. So als schlafe er schlecht seither. »Sie reden genau wie meine Exfrau. Die hat mir auch immer wieder vorgebetet, dass es völlig nutzlos sei, in den Abgrund zu blicken, wenn man keine Möglichkeit habe,

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