Siebenschön
daraus die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen.«
Em drehte sich wieder zu ihrer Partnerin um. Sollen wir ihm reinen Wein einschenken?
Zhou nickte. Nur zu!
»Interessant ist, dass der Kerl, mit dem wir es hier zu tun haben, genau das tut.«
»Was?«, fragte Westen irritiert.
»Konsequenzen ziehen.«
Em hörte Zhous Schritte hinter sich. Dann war ihre Partnerin auch schon neben ihr. »Wie es aussieht, tötet er Menschen, die ihrerseits mit einem Tötungsdelikt davongekommen sind.«
Der Psychologe starrte sie an.
Em nutzte die Gelegenheit, noch einen obendraufzusetzen. Ruhig öffnete sie die Mappe und legte verschiedene Dokumente auf den Tisch, der sie von Westen trennte, während Zhou auf dem Stuhl neben ihr Platz nahm. »Alois Berneck hat tatsächlich einen tödlichen Unfall verursacht«, erklärte Em. »Jonas Tidorf trieb ein schwangeres Mädchen in den Selbstmord. Lina Wöllner versteckte das Asthmaspray ihrer Mutter, woraufhin diese starb. Und Jenny Dickinson hat während ihrer Zeit als Au-pair den Tod eines ihr anvertrauten Kleinkindes verschuldet.«
Westen fuhr sich nervös durch die Haare. »Wer sagt das?«
»Das spielt keine Rolle«, versetzte Em. »Haben Sie davon gewusst?«
»Nein.«
»Sicher nicht?«
Sein Ton wurde scharf. »Ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass ich diese Frau kaum gekannt habe. Sie bat mich, in meiner Praxis hospitieren zu dürfen. Und ich sagte Ja. Das war alles, was ich über sie wusste.«
»Und das sollen wir Ihnen glauben?«
Er antwortete nicht, sondern saß einfach kopfschüttelnd da.
Zhou stand auf und trat neben ihn. »Aber Ihnen ist schon klar, wie das Ganze aussieht, oder?«
Ich bin ja nicht blöd, entgegneten seine Augen. Doch er schwieg weiter.
Zhou beugte sich zu ihm hinunter. »Haben Sie Jenny Dickinson eine Einladung geschickt?«
»Nein.«
»Haben Sie Lina Wöllner damit gedroht, ihrem Mann von ihrer Vergangenheit zu erzählen?«
»Nein, verdammt.« Sein Kopf fuhr herum, als wolle er Zhou mit Blicken aufspießen. Erstaunlicherweise zuckte sie nicht zurück. Nicht einen Milimeter. »Weshalb hätte ich das tun sollen?«
»Vielleicht, weil Sie der Meinung waren, dass Lina Wöllner ihr Glück nicht verdiene.«
»Das habe ich wohl kaum zu beurteilen.«
»Sagt einer, dessen Job es ist, genau das zu tun«, stichelte Em.
Westens Blicke flogen zwischen den beiden Polizistinnen hin und her und er hob die Hände zu einer ziemlich eindeutigen Geste.
Stopp! Das reicht jetzt. Keinen Schritt weiter. Alle beide.
»Nein«, sagte er kategorisch. »Zu beurteilen, was jemand verdient oder nicht verdient, ist Sache der Gerichte. Mein Job, wie Sie es ausdrücken, bestand lediglich in der Einschätzung von Wahrscheinlichkeiten.«
»Unter Ihren Kollegen in Haina galten Sie als streng«, bemerkte Zhou in beiläufigem Ton. »Eine unabhängige Ethikkommission des Landes hat Ihre Prognosen durch die Bank als zu rigide kritisiert.«
Westen schenkte ihr ein bitteres Lächeln. »Ich neige nicht dazu, die Dinge zu beschönigen. Das ist alles. Aber zu Ihrer Beruhigung: Meine Gutachten hatten ohnehin nur Empfehlungscharakter.«
»Empfehlungen, an die man sich in aller Regel gehalten hat.«
»Mal so, mal so.«
Warum stapelt er so tief?, überlegte Em. Denn eigentlich war Sander Westen nicht der Typ für Understatement. Im Gegenteil, sie hätte ihn eher für einen Menschen gehalten, der stolz daraufwar, wenn sich seine Prognosen bewahrheiteten. Der Recht behalten wollte. Um jeden Preis.
»Sie haben bereits damals an der Entwicklung eines speziellen Persönlichkeitstests für jugendliche Straftäter gearbeitet, nicht wahr?« Obwohl er zusehends nervöser wurde, ersparte Zhou es ihm nicht, in dem kleinen Besprechungszimmer auf und ab zu gehen, während sie sprach.
»Ja.«
»Für welche Altersgruppe war der Test gedacht?«
»Für Zehn- bis Sechzehnjährige.«
»Stimmt es, dass namhafte Kollegen Sie wegen dieser Altersstruktur heftig kritisiert haben?«
»Solche Forschung ist immer kontrovers.«
Westens Körperhaltung verriet, dass er mehr und mehr in die Verteidigungsstellung wechselte, und Em fragte sich, ob er sich dieser Tatsache bewusst war. Immerhin war er vom Fach, und wenn sie ehrlich war, hielt sie es sogar für möglich, dass er seine Körpersprache bewusst einsetzte. Um sie zu täuschen.
»Eins der Hauptargumente Ihrer Kritiker war, dass die Persönlichkeitsentwicklung in diesem Alter noch gar nicht abgeschlossen ist«, fuhr Zhou ungerührt fort. »Und dass
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