Sieg des Herzens
beobachtete, die, den Kopf geneigt, gerade die letzten Reste des Verbandes von Paddys Oberschenkel zupfte. »Wie viele Leute sind noch im Haus - oder auf dem Grundstück?« wollte er dann von ihr wissen.
Mit ihren unergründlichen grünen Augen sah sie zu ihm auf und antwortete: »Mammy Nor und Angus, mehr nicht.«
»Und das sind Ihre...?«
»Unsere Hausangestellten«, sagte sie einfach und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Verletzten zu.
Hausangestellte also, dachte Julian. Sie hatte nicht Nigger, Neger oder Sklaven gesagt, sondern Hausangestellte. Das war mit Sicherheit ein Yankee-Haushalt. Damit hätte er rechnen sollen. Florida war in sich heillos zerstritten. Obwohl es der dritte Staat gewesen war, der sich von der Union losgesagt hatte, lebten dort immer noch eine Menge Menschen, die der alten Regierung treu ergeben waren. Sein Vater gehörte dazu und auch sein Bruder. Bei ihnen auf Cimarron, der Plantage ihrer Familie außerhalb von Tampa, arbeiteten viele Schwarze. Aber es waren keine Sklaven. Auch sie waren Angestellte - freie Männer und Frauen, die für ihre Arbeit entlohnt wurden. Sein Vater war schon immer ein vehementer Gegner der Sklaverei gewesen. Auch Julian lehnte sie ab. Es schien ihm unmöglich, daß ein Geschöpf Gottes, das eine Seele besaß, einem anderen gehören sollte - aber er wußte auch, daß die gesamte Wirtschaft des Landes auf Sklavenarbeit aufbaute. Natürlich rechtfertigte dieses Argument die Sklaverei selbst nicht; aber auf einen Schlag alle in Unfreiheit lebenden Männer und Frauen freizusetzen, um sie dann verhungern zu lassen, löste das Problem genausowenig.
»Sir!« sagte Liam, der mittlerweile zurückgekommen war, während er Julians Arztkoffer neben ihn auf dem Nachttisch abstellte.
»Danke«, murmelte Julian, öffnete die Tasche und wollte sich gerade daranmachen, Paddys Wunde auszuwaschen, als er sah, daß Rhiannon schon dabei war.
»Soldat«, sagte sie zu Liam, »nehmen Sie seine Schuhe und seine Hose, besser gesagt, was davon noch übrig ist. Ich sorge dafür, daß die Wunde gesäubert wird.«
Liam tat wie ihm geheißen war, und Rhiannon kümmerte sich weiter um den Verwundeten, wobei ihr das junge Mädchen zur Hand ging. Julian hatte die Kugel bisher nicht entfernt, da er nicht hatte riskieren wollen, das konisch zulaufende Geschoß herauszuziehen, bevor er sich sicher war, daß er die dann noch heftiger auftretenden Blutungen auch stillen konnte. Es war besser gewesen, die Kugel drinzulassen, damit Paddy auf der Flucht nicht verblutete.
Aber nun war es soweit. Mit einer Pinzette in der Hand drehte sich Julian zu Paddy und Rhiannon um, die soeben dabei war, die Wunde reichlich mit Whiskey zu übergießen. Erstaunt sah er sie an.
»Das ist gegen Infektionen«, erklärte sie.
»Ich weiß«, murmelte er trocken.
Daraufhin warf sie einen Blick in seinen Arztkoffer, und an ihrem Gesichtsausdruck konnte er ablesen, daß sie sofort erkannt hatte, daß fast alles unbedingt Notwendige fehlte. Aber immerhin verfügte er noch über Nadel und Faden, um die Wunde zu vernähen - auch wenn man in diesen Zeiten mit Pferdehaar vorliebnehmen mußte, das aber durchaus seinen Zweck erfüllte. Und seine medizinischen Instrumente zum Herausnehmen von Kugeln waren äußerst fein gearbeitet - ein Geschenk seines Vaters, anläßlich seines Examens.
Julian setzte sich nun so aufs Bett, daß er bequem an die Wunde herankam, und tastete sie erst einmal ab. Dabei überprüfte er den Verlauf der Venen und Arterien, um sicherzugehen, daß er beim Herausziehen der Kugel nicht noch mehr Schaden anrichtete. Schließlich fühlte er, wo die Kugel saß.
Rhiannon stand dicht neben ihm und tupfte das Blut ab, sobald es aus der Wunde trat.
Es gelang ihm, die Kugel mit der Pinzette zu ergreifen.
In wenigen Minuten hatte er sie herausgezogen und dabei glücklicherweise kein größeres Blutgefäß verletzt. Paddy war ein alter irischer Haudegen und wollte bestimmt kein Bein verlieren.
Julian fädelte das desinfizierte Pferdehaar in seine Chirurgennadel und stellte dabei fest, daß Rhiannon abermals ihren Whiskey benutzte, um die Wunde noch einmal zu desinfizieren. Dann machte er sich daran, das zerfetzte Fleisch wieder zusammenzuflicken. Dabei kam Paddy vor Schmerz stöhnend zu sich und fluchte dann: »Heilige Maria, Mutter Gottes, Colonel, das tut wirklich höllisch weh ...«, wobei sein irischer Akzent nicht zu überhören war.
»Nehmen Sie ein paar Schlucke davon«, sagte Rhiannon und
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