Sieg des Herzens
flüstern, »es ist alles in Ordnung. Sie sind doch Yankees!«
Julian sah die Treppe hinauf. Auf dem Absatz des zweiten Stocks stand noch eine Frau, die ein paar Jahre jünger zu sein schien als ihre elegante Gastgeberin - vielleicht sechzehn im Vergleich zu der Frau, die das junge Mädchen Rhiannon genannt hatte. Julian schätzte ihre unfreiwillige Gastgeberin, die sehr viel ruhiger und gelassener wirkte als das junge Mädchen, auf Anfang Zwanzig.
Rhiannon. Der Name erinnerte ihn an eine alte britische Sagengestalt. Rhiannon ... war ein walisischer Name, eigentlich ein Männername, den mehrere Prinzen des alten Königreichs getragen hatten; aber auch ein Frauenname, den das einfache Volk einer schönen Meerhexe gegeben hatte. Irgendwie paßte dieser Name zu ihrer unwilligen Gastgeberin.
»Das Blut meines Freundes tropft auf Ihren wunderschönen Teppich, Gnädigste«, sagte er dann höflich. »Ich brauche einen Platz, wo ich mich um ihn kümmern kann.«
»Es gibt ein Schlafzimmer im Erdgeschoß, Sie brauchen ihn nicht nach oben zu bringen«, entgegnete die Frau -Rhiannon - und rührte sich endlich vom Fleck.
Geschmeidig wie eine Katze kam sie die Treppe hinunter. Sie nickte Kyle, River Montdale und Liam, die hinter Julian standen, zur Begrüßung zu. Dann ging sie an Julian vorbei, durch die große Halle, einen dezenten Rosengeruch hinter sich herziehend. Er folgte ihr, sah sich aber noch einmal um und stellte fest, daß das junge Mädchen, das auf dem Treppenabsatz des zweiten Stocks gestanden hatte, eiligst hinter ihnen herkam.
»Gott sei Dank seid ihr Yankees!« sagte sie. »Mein Gott, was ich für eine Angst ausgestanden habe. Es gibt so viele verzweifelte Leute hier in der Gegend, wissen Sie. Leute, die glauben, daß es Richard ganz recht geschehen ist, daß er sterben mußte, weil er für den Norden gekämpft hat. Dabei hat er doch nur getan, was er für richtig hielt. Und haben Sie gehört, was einige Rebellensoldaten mit Yankee-Frauen machen, wenn sie feststellen, daß sie auf sich allein gestellt sind? Sirs, das kann einem wirklich furchtbare Angst machen!«
»Rachel!«
Die Frau, die vor Julian herging, hatte sich ruckartig zu dem jungen Mädchen umgedreht und schien es jetzt mit Blicken durchbohren zu wollen.
»Aber, Rhiannon...«
»Rachel, geh in die Küche und setz Wasser auf«, antwortete Rhiannon bestimmt. Dann blickte sie unverwandt zu Julian, als sie bemerkte, daß er sie beobachtete.
»Ich bring' dann gleich das Wasser. Und machen Sie sich keine Sorgen, Rhiannon versteht mehr von Medizin als so mancher Arzt. Oh, es tut mir leid, ich wollte Sie nicht beleidigen, Sir. Ich bin sicher, daß Sie ein sehr guter Arzt ...« Das Mädchen hielt inne, weil Rhiannon sie wieder anstarrte, und die Kleine hauchte schuldbewußt: »Ich hol' dann mal das Wasser.«
Daraufhin nahm Rhiannon eine Lampe von einem der Tische und öffnete die letzte Tür auf der rechten Seite der großen Halle. Sie betraten ein spärlich möbliertes, aber peinlich sauberes Schlafzimmer. Auf dem Bett lag eine Patchworkdecke, die die Hausherrin schnell herunternahm. Darunter kamen blütenweiße Laken zum Vorschein.
Julian ließ Paddy von der Schulter aufs Bett gleiten. Er war noch immer bewußtlos, und Julian vergewisserte sich rasch, ob sein Freund überhaupt noch atmete und sein Puls noch ging.
»Liam, meine Tasche«, rief er dann. »Und schnell eine Schere, und wir brauchen noch...«
Er wandte sich um und wollte einen der Männer bestimmen, der ihm assistieren sollte. Aber da stand Rhiannon schon, eine Schere in der Hand, bereit, den behelfsmäßigen Verband herunterzuschneiden, den er Paddy angelegt hatte, bevor sie hatten fliehen müssen.
Julian wußte nicht, inwieweit sie geschult war und woher ihre Kenntnisse und ihre Erfahrung rührten. Aber das junge Mädchen - diese Rachel - hatte recht gehabt: Ihre Gastgeberin war wirklich sehr erfahren, mehr als einige der Ärzte, mit denen er unglücklicherweise schon hatte Zusammenarbeiten müssen. Schnell schnitt sie den Verband und die Überbleibsel von Paddys Hose herunter. Sie zuckte nicht einmal mit der Wimper oder wechselte gar die Gesichtsfarbe, als sie die schreckliche Wunde an Paddys halbzerfetztem Oberschenkel sah. Noch bevor sie fertig war, erschien Rachel mit dem heißen Wasser und bat die Männer, die unbeholfen unter der Tür standen, ihr Platz zu machen.
»Jungs, kümmert euch um die Pferde und seht euch hier ein wenig um«, befahl Julian, während er Rhiannon
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