Sieg einer großen Liebe
Claremont“, hatte sie geflüstert.
Und dann, einen Augenblick bevor sie starb, hatte sie noch einen Namen genannt. „Charles Fielding“, hatte sie gehaucht. „... Herzo.... vo... . Atherton.“
„Gehört er zur Familie?“ hatte der Arzt hartnäckig weitergeforscht.
Obwohl ihre Augen schon brachen, war das Wort gekommen: „Kusin...“
Dr. Morrison hatte nun die schwierige Aufgabe, diese unbekannten Verwandten aufzuspüren und zu fragen, ob sie bereit wären, Victoria und Dorothy bei sich aufzunehmen. Dies wurde zusätzlich erschwert, d...urch das Fehlen jeglicher Korresponden...ohl feststehen konnte, daß weder der Herzog von Atherton noch die Herzogin von Claremont von der Existenz der Mädchen wussten.
Entschlossen tauchte Dr. Morrison die Feder ins Tintenfaß, setzte das Datum an den oberen Rand des ersten Blattes und zögerte dann. „Wie redet man eine Herzogin richtig an?“ murmelte er. Nach einiger Zeit schien er zu einem Entschluss gekommen zu sein und begann zu schreiben.
Sehr geehrte Madame Herzogin, ich habe die unangenehme Aufgabe, Sie vom tragischen Tod Ihrer Enkelin, Katherine Seaton, zu unterrichten. Außerdem teile ich Ihnen mit, daß sich Mrs. Seatons Töchter, Victoria und Dorothy, vorübergehend in meiner Obhut befinden. Aber ich bin ein alter Mann und Junggeselle. Deshalb, Madame Herzogin, sehe ich mich außerstande, weiterhin angemessen für die beiden verwaisten jungen Damen zu sorgen.
Bevor sie starb, erwähnte Mrs. Seaton nur zwei Namen, Ihren und den von Charles Fielding in der Hoffnung, daß einer von Ihnen oder sie beide, Mrs. Seatons Töchter in Ihrem Hause willkommen heißen werden. Die Mädchen haben sonst niemanden. Außerdem sind sie mittellos und brauchen dringend ein geeignetes Zuhause.
Dr. Morrison lehnte sich im Stuhl zurück und überlas das Geschriebene. Er legte die Stirn in sorgenvolle Falten. Wenn die Herzogin nichts von der Existenz ihrer Urenkelinnen wusste, würde sie sicher etwas über die Mädchen erfahren wollen, bevor sie sie bei sich aufnahm. Er schaute zum Fenster zu den beiden hinaus und dachte darüber nach, wie er sie am besten beschreiben könnte. Dorothy saß mit hängenden Schultern auf der Schaukel, Victoria malte.
Dr. Morrison beschloss, zuerst von Dorothy zu erzählen, da sie leichter zu schildern war.
Dorothy ist ein schönes Mädchen mit hellblondem Haar und blauen Augen. Sie ist sanft, wohlerzogen und liebenswert. Mit siebzehn hat sie beinahe das Heiratsalter erreicht, doch hat sie noch keine Neigung zu einem der jungen Männer hier im Bezirk gefasst...
Nachdenklich rieb sich Dr. Morrison das Kinn. In Wirklichkeit hatte er gehört, daß mancher junge Herr in Portage von Dorothys Charme hingerissen war. Sie war hübsch und fröhlich und süß. „Sie ist ein Engel“, schrieb Dr. Morrison schließlich und freute sich, genau das richtige Wort gefunden zu haben.
Doch als er seine Aufmerksamkeit Victoria zuwandte, zog er die buschigen Brauen verwirrt zusammen. Denn obwohl Victoria sein Liebling war, konnte er sie nicht beschreiben. Ihr Haar war nicht golden wie Dorothys, aber es war auch nicht wirklich rot, eher eine lebhafte Mischung aus beidem.
Während Dorothy den Jungen im Dorf den Kopf verdrehte, weil sie die geborene Ehefrau war, war Victoria mit ihren achtzehn Jahren klug und schlagfertig und zeigte die erschreckende Neigung, selbst zu denken. Sie würde ihrem Gatten wahrscheinlich widersprechen, wenn sie etwas nicht für richtig hielt. Dorothy war ein Engel, aber Victoria war ... keiner.
Durch seine Brille beobachtete er Victoria, die resolut ein weiteres Bild von der weinbewachsenen Gartenmauer zeichnete, und suchte nach Worten. „Tapfer“, entschied er, denn er wusste, daß sie nur malte, um sich nicht von ihrer Trauer überwältigen zu lassen. Und „mitfühlend“ fand er beim Gedanken an ihre Bemühungen, die Patienten ihres Vaters zu trösten und aufzumuntern.
Entmutigt schüttelte Dr. Morrison den Kopf. Er, als alter Mann, liebte Victorias Intelligenz und Humor, bewunderte ihren Mut und ihren Geist. Wenn er jedoch diese Qualitäten ihren englischen Verwandten gegenüber zu sehr betonte, würden diese Victoria für ein selbständiges, belesenes, kluges Frauenzimmer halten, das nicht zu verheiraten war und somit eine Last bedeuten würde.
Noch bestand zwar die Möglichkeit, daß Andrew Bainbridge um ihre Hand anhalten würde, wenn er in einigen Monaten aus Europa zurückkam, doch dessen war sich Dr. Morrison nicht
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