Sieg einer großen Liebe
beabsichtigte, dir Jamie gegen Lösegeld zurückzugeben. Der zweite Brief sollte dich bloßstellen. Sie hatten einen Lakaien beauftragt, ihn nach ihrer Abreise der ,Times' zukommen zu lassen. Als deine Tante Flossie jedoch Jamies Abwesenheit feststellte, befragte sie sofort die Dienerschaft, und der Lakai gab ihr die Schreiben. Da Flossie dich nicht erreichen konnte, schickte sie nach mir... Jason“, fuhr Mike mitfühlend fort, „ich weiß, wie sehr du den Jungen geliebt hast. Es tut mir aufrichtig leid ..."
Jason starrte auf das goldgerahmte Portrait seines Sohnes über dem Kaminsims, eines kräftigen kleinen Jungen, der liebevoll einen holzgeschnitzten Soldaten umklammerte.
Das Glas in Jason Fieldings Faust zerbrach, doch weinen konnte er nicht. Er hatte noch nie geweint. Auch nicht während seiner furchtbaren und erbärmlichen Kindheit.
2. KAPITEL
Zur gleichen Zeit in Portage, bei New York 1815
Der Schnee knirschte unter ihren Füßen, als die fünfzehnjährige Victoria Seaton das weiße Holzgatter zum Garten ihres bescheidenen Elternhauses aufstieß. Ihre Augen leuchteten und die Wangen waren gerötet. Sie schaute zum sternenklaren Nachthimmel auf und summte eins der Weihnachtslieder vor sich hin, die sie den ganzen Abend mit anderen Mädchen gesungen hatte.
Es war schon spät, und da sie ihre Eltern und die jüngere Schwester Dorothy nicht wecken wollte, schlüpfte sie leise ins Haus. Sie hängte ihren Umhang an einen Haken, wandte sich dann um und blieb überrascht stehen. Vom Mondlicht durch das Fenster über der Treppe beleuchtet, standen ihre Eltern vor der Schlafzimmertür ihrer Mutter. „Nein, Patrick!" Victorias Mutter wehrte sich gegen die feste Umarmung des Vaters. „Ich kann es einfach nicht! “
„Verweigere dich mir nicht, Katherine“, bat Patrick Seaton. „Bitte ...“
„Du hast es versprochen!“ rief Katherine beinahe schluchzend und wehrte sich weiterhin heftig. Er wollte sie küssen, doch sie wandte das Gesicht ab. „Bei Dorothys Geburt hast du mir dein Wort gegeben, daß du mich nie wieder darum bitten würdest!“
Victoria stand wie gelähmt da. Sie erinnerte sich nicht, daß ihre Eltern sich je berührt hatten, weder scherzhaft noch liebevoll, und sie hatte keine Ahnung, was ihre Mutter dem Ehemann verweigerte.
Patrick ließ seine Frau los. Er wirkte müde. „Es tut mir leid“, sagte er tonlos. Die Mutter flüchtete in ihr Schlaf gemach, aber statt in sein Zimmer zu gehen, kam Patrick Seaton die schmale Treppe herab und ging unten nur wenige Zentimeter an Victoria vorbei.
An die Wand gepresst stand Victoria da. Ihr schien, als würden die Sicherheit und der Frieden ihres Lebens durch das eben Beobachtete irgendwie bedroht. Was sollte sie tun? Wenn sie sich die Treppe hinaufzuschleichen versuchte, würde der Vater sie bemerken und wissen, daß sie Zeugin der demütigenden Szene gewesen war. So sah sie zu, wie er sich auf das Sofa setzte und ins erlöschende Kaminfeuer starrte. Eine Flasche Whisky stand vor ihm auf dem Tisch, daneben ein halbgefülltes Glas. Als Patrick Seaton sich vorbeugte und danach griff, wandte sich Victoria um und setzte vorsichtig den Fuß auf die erste Stufe.
„Ich weiß, daß du da bist, Victoria“, sagte er, ohne sich umzudrehen. „Du brauchst gar nicht so zu tun, als hättest du nicht gesehen, was eben zwischen deiner Mutter und mir vorgefallen ist. Warum kommst du nicht her und setzt dich mit mir ans Feuer? Ich bin nicht der Rohling, für den du mich halten musst. “
Victoria setzte sich neben ihn. „Ich halte dich nicht für einen Rohling, Papa. Das könnte ich niemals von dir denken.“
Er nahm einen tiefen Schluck aus dem Glas. „Du darfst auch deiner Mutter keine Schuld geben“, warnte er, wobei er die Worte so undeutlich aussprach, als hätte er schon lange vor Victorias Heimkehr zu trinken begonnen.
Um sie zu trösten, legte er ihr den Arm um die Schultern. „Die Schuld liegt weder bei deiner Mutter, noch bei mir“, erklärte er. „Sie kann mich nicht lieben, und ich kann nicht aufhören, sie zu lieben. So einfach ist das.“
Abrupt wurde Victoria in die Wirklichkeit der Erwachsenenwelt geworfen. Ihr schönes, friedliches Zuhause schien in Stücke zu fallen. Sie schüttelte den Kopf, um das eben Gesagte abzuwehren. Natürlich liebte ihre Mutter diesen wundervollen Vater!
„Zuneigung kann man nicht erzwingen“, fuhr Patrick Seaton verbittert fort. „Sie kommt nicht, nur weil man es will. Als wir getraut wurden,
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