Sieh dich nicht um
Abend wollte sie nicht mehr gestört werden.
Dann machte sie es sich mit dem Sandwich, einem Glas Wein und einem Buch gemütlich. Ich habe mir einen ruhigen Abend verdient, dachte sie.
Gleich nach ihrer Ankunft im Büro am nächsten Morgen mußte Lacey für diese Entscheidung büßen. Zuerst rief ihre Mutter an, und kurz darauf meldete sich Kit. Beide machten sich Sorgen, weil sie Lacey nicht erreicht hatten, und wollten sich vergewissern, daß ihr nichts zugestoßen war. Noch während sie ihre Schwester beruhigte, erschien Rick mit offensichtlich genervter Miene in der Tür. »Isabelle Waring möchte unbedingt mit dir sprechen. Sie haben sie zu mir durchgestellt.«
»Kit, ich muß jetzt weiterarbeiten.« Lacey legte auf und eilte in Ricks Büro. »Tut mir leid, daß ich Sie gestern nicht mehr zurückrufen konnte, Isabelle«, entschuldigte sie sich.
»Schon gut. Eigentlich sollte ich sowieso nicht am Telephon darüber sprechen. Ist für heute eine Wohnungsbesichtigung
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angesetzt?«
»Nein, bis jetzt habe ich niemanden auf der Liste.«
Als sie das sagte, schob Rick ihr einen Zettel zu: »Curtis Caldwell, Anwalt bei Keller, Roland und Smythe, wird nächsten Monat von Texas hierher versetzt. Er sucht eine Wohnung in der Fifth Avenue zwischen 65. und 72. Straße. Hat heute Zeit für einen Besichtigungstermin.«
»Danke«, flüsterte Lacey Rick zu. »Vielleicht bringe ich doch jemanden vorbei«, sagte sie zu Isabelle. »Drücken Sie mir die Daumen. Ich weiß nicht, warum, aber ich habe das Gefühl, daß wir die Wohnung heute verkaufen werden.«
»Ein Mr. Caldwell wartet auf Sie, Miss Farrell«, meldete Patrick, der Pförtner, als Lacey aus dem Taxi stieg.
Durch die verschnörkelte Glastür erkannte Lacey einen schlanken Mann Mitte Vierzig, der am Empfang stand und mit den Fingern auf die Theke trommelte. Ein Glück, daß ich zehn Minuten zu früh bin, dachte sie.
Patrick hielt ihr die Tür auf. »Leider haben wir ein Problem«, sagte er seufzend. »Die Klimaanlage ist kaputt. Die Handwerker sind schon da, aber drinnen herrscht eine Bullenhitze. Bin ich froh, daß ich am ersten Januar in Rente gehe! Vierzig Jahre in diesem Job sind genug.«
Na, großartig! schoß es Lacey durch den Kopf. Ausgerechnet an einem der wärmsten Tage im Jahr muß die Klimaanlage ihren Geist aufgeben. Kein Wunder, daß der Typ so ungeduldig ist.
Damit sinken die Verkaufschancen.
Während Lacey mit raschen Schritten die Eingangshalle durchquerte, versuchte sie, sich ein Bild von Caldwell zu machen. Er hatte sonnengebräunte Haut, hellblondes Haar und blaßblaue Augen, und sie wußte nicht, wie sie ihn einschätzen sollte. Sie machte sich schon auf eine ungeduldige Bemerkung
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gefaßt.
Doch als sie sich vorstellte, erhellte sich seine Miene. Er versuchte sogar einen Witz zu machen. »Jetzt raus mit der Sprache, Miss Farrell«, sagte er. »Ist die Klimaanlage in diesem Haus schon im Klimakterium?«
Als Lacey angerufen hatte, um den Termin zu bestätigen, hatte Isabelle Waring geistesabwesend geklungen. Sie hatte gesagt, sie sei in der Bibliothek beschäftigt. Lacey sollte selbst aufschließen.
Lacey hielt den Schlüssel in der Hand, als sie mit Caldwell aus dem Aufzug stieg. Sie öffnete die Tür. »Isabelle, ich bin's!«
rief sie und ging, gefolgt von Caldwell, zur Bibliothek.
Isabelle saß mit dem Rücken zur Tür am Schreibtisch. Vor ihr lag ein Ordner, einige Papiere waren über den Tisch verstreut.
Auch auf Laceys Begrüßung drehte sie sich nicht um.
»Vergessen Sie einfach, daß ich hier bin«, sagte sie mit gedämpfter Stimme.
Lacey führte Caldwell herum und erklärte ihm dabei, daß die Wohnung Isabelle Warings Tochter gehört habe. Sie stehe zum Verkauf, weil die junge Frau im letzten Winter bei einem Unfall ums Leben gekommen sei.
Offenbar interessierte sich Caldwell nicht für die Geschichte der Wohnung. Anscheinend gefiel sie ihm, und auch der Preis von 600 000 Dollar schreckte ihn nicht. Nachdem er das obere Stockwerk gründlich inspiziert hatte, blickte er kurz aus dem Wohnzimmerfenster und wandte sich dann zu Lacey um. »Sie ist nächsten Monat bezugsfertig?« fragte er.
»Auf jeden Fall«, antwortete Lacey. Geschafft! dachte sie.
Gleich macht er mir ein Angebot.
»Ich habe keine Lust zu handeln, Miss Farrell. Ich bin bereit, den geforderten Preis zu zahlen, vorausgesetzt, ich kann am
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nächsten Ersten garantiert einziehen.«
»Sprechen wir mit Mrs. Waring«, entgegnete Lacey. Sie
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