Sieh dich nicht um
ich mache vorher noch einen kleinen Spaziergang, trinke eine Tasse Kaffee und lege mir einen Schlachtplan zurecht. Bis später, Rick.«
Sie war zwar zwanzig Minuten zu früh dran, aber sie beschloß, schon nach oben zu gehen. Patrick, der Pförtner, der gerade eine Lieferung entgegennahm, begrüßte sie mit einem Lächeln und gab ihr durch ein Zeichen zu verstehen, sie solle selbst mit dem Aufzug hinauffahren.
Als sie die Tür öffnete und Isabelles Namen rief, hörte sie den Schrei und den Schuß. Zuerst blieb sie wie erstarrt stehen, dann aber schlug sie ganz automatisch die Tür hinter sich zu und versteckte sich im Schrank. Im nächsten Moment stürmte Caldwell die Treppe hinunter und rannte den Flur entlang. Er hielt eine Pistole in der Hand und hatte eine Ledermappe unterm Arm.
Später fragte sie sich, ob sie wirklich die Stimme ihres Vaters gehört hatte: »Mach die Tür zu, Lacey! Sperr ihn aus!« War er ihr Schutzengel, der ihr die Kraft gab, die Tür zuzudrücken und zu verriegeln, während Caldwell sich schon dagegenstemmte?
Sie lehnte an der Tür und hörte das Klicken des Schlüssels im Schloß. Er wollte wieder herein. Sie dachte an den Raubtierblick seiner blaßblauen Augen. Für den Bruchteil einer Sekunde hatten sie einander angesehen.
Isabelle!
Die Polizei anrufen… Hilfe holen!
Sie stolperte die Wendeltreppe hinauf, dann durchs elfenbein-und pfirsichfarben ausgestattete Wohnzimmer und ins Schlafzimmer, wo Isabelle auf dem Bett lag. Überall war Blut, es tropfte auf den Boden.
Isabelle bewegte sich. Sie zerrte an einem Stoß Papiere, der unter dem Kopfkissen lag. Auch die Papiere waren blutig.
-35-
Lacey wollte Isabelle sagen, daß sie Hilfe holen würde…
Alles würde gut werden. Doch dann versuchte Isabelle zu sprechen: »Lacey… geben Sie Heathers… Tagebuch… ihrem Vater.« Keuchend schnappte sie nach Luft. »Keinem anderen Menschen… Versprechen Sie mir das… nur… ihm! Lesen Sie es… Zeigen Sie ihm… wo…« Ihre Stimme erstarb, und ihr Blick wanderte ins Leere. Als Lacey sich neben Isabelle kniete, ergriff diese mit letzter Kraft ihre Hand. » Versprechen Sie… bitte…
Mann…!«
»Ich verspreche es, Isabelle«, antwortete Lacey mit tränenerstickter Stimme.
Plötzlich ließ der Druck auf ihrer Hand nach. Isabelle war tot.
»Alles in Ordnung, Lacey?«
»Ich glaube schon.« Sie saß in Isabelles Bibliothek in einem Ledersessel an dem Schreibtisch, wo Isabelle noch vor wenigen Stunden gesessen und die Tagebuchseiten aus der Ledermappe gelesen hatte.
Curtis Caldwell hatte zwar die Mappe mitgenommen, aber offenbar hatte er sie einfach gepackt, ohne zu bemerken, daß Isabelle einige Papiere herausgenommen hatte. Lacey hatte die Mappe zwar nicht aus der Nähe gesehen, aber sie hatte einen ziemlich schweren und unhandlichen Eindruck gemacht.
Die Seiten, die unter Isabelles Kopfkissen gelegen hatten, befanden sich inzwischen in Laceys Aktenkoffer. Isabelle hatte ihr das Versprechen abgenommen, sie nur Heathers Vater und niemand anderem zu geben. Außerdem hatte sie verlangt, daß Lacey ihn auf eine bestimmte Stelle hinwies. Aber was hatte sie damit gemeint? War es nicht doch besser, wenn sie der Polizei sofort davon erzählte?
»Lacey, trink einen Schluck Kaffee. Es wird dir guttun.«
-36-
Rick kauerte neben ihr und hielt ihr eine dampfende Tasse hin. Er hatte den Detectives bereits erklärt, daß er keinen Grund gesehen habe, die Angaben eines Mannes zu überprüfen, der sich als Angestellter der Kanzlei Keller, Roland und Smythe vorstellte. Der Mann habe gesagt, er sei Anwalt und werde in Kürze von Texas nach New York versetzt. »Wir arbeiten häufig mit dieser Kanzlei zusammen«, erläuterte Rick. »Also fand ich es überflüssig, zurückzurufen und es mir bestätigen zu lassen.«
»Und Sie sind sicher, daß es dieser Caldwell war, der aus der Wohnung gelaufen ist, Miss Farrell?«
Der ältere der beiden Detectives war um die Fünfzig und ziemlich stämmig. Aber er bewegt sich leichtfüßig, dachte Lacey, die sich einfach nicht konzentrieren konnte. Er erinnert mich an einen Schauspieler, mit dem Dad befreundet war. Er spielte den Vater in der Neuinszenierung von My Fair Lady und sang das Lied »Get Me to the Church on Time«. Wie hieß er noch mal?
»Miss Farrell?« Mittlerweile klang der Detective ein wenig ungeduldig.
Lacey sah ihn an. Detective Ed Sloane, fiel ihr ein. Aber an den Namen des Schauspielers konnte sie sich immer noch nicht erinnern. Was
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