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Sieh mich an, Al Sony

Sieh mich an, Al Sony

Titel: Sieh mich an, Al Sony Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denise Danks
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Analystensklaven in einer Nische, die für höchstens drei Aktenschränke gedacht war. Sein Schreibtisch verschwand unter einer Flut von Papieren, die von drei Telefonen niedergehalten wurden; zwei davon blinkten und klingelten. Seine Besitzer zerrten an seiner Leine. Sie wollten einen Vorsprung vor der Konkurrenz, und er sollte ihn ihnen beschaffen. Charlie hielt sich den Kopf und versuchte, sich denken zu hören; ich mußte ihm auf die Schulter tippen, um seine Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Als er mich sah, trat er gegen seinen Schreibtisch und rammte seinen Stuhl dem Analysten hinter ihm ins Kreuz. Er fuhr sich mit den knochigen Fingern durchs Haar und packte frustriert ganze Büschel davon. Es war nicht die Reaktion, die man von einem coolen Pokerspieler erwartet hätte, und jetzt begriff ich, daß Charlie ebensowenig ein cooler Pokerspieler war wie Ronald Reagan Top Gun.
    »Nein, George. Ich kann nicht reden. Nichtjetzt. Begreifst du nicht — «
    »Okay, dann werde ich reden«, sagte ich. Er antwortete nicht, sondern starrte mich an.
    »Du wußtest, daß er hinter den Drams her war, nicht wahr?«
    Keine Antwort.
    »Charlie?«
    »Was zum Teufel hast du da eigentlich an?«
    Er schaute sich peinlich berührt um und hoffte, daß alle anderen zu beschäftigt waren, um mich zu bemerken. Sie waren es. Ich war aus Zellophan. Ich hätte nackt sein können, und sie hätten nichts bemerkt. Die echten coolen Pokerspieler machten Geschäfte.
    »Du wußtest schon in Vegas, wer er war, nicht?«
    »Das wußte ich allerdings. Und ich wußte auch, daß er diese Scheißdrams haben wollte.«
    »Du hast mich reingelegt.«
    Charlies grobschlächtiges Kinn klappte herunter. Er machte ein verwirrtes Gesicht, aber ich wußte es besser. Er war niemals verwirrt. Er gewann, oder er verlor. Ich nickte ihm zu. »Hast du.«
    Charlie stand auf und schob seine schlaksige Gestalt hinter mich; er streckte den Arm aus, um mich halb stoßend, halb dirigierend in Bewegung zu setzen.
    »Könnten wir für einen Moment hinausgehen, Blümchen?« sagte er.
    Als wir das Büro durchquerten, begann der Lärmpegel plötzlich zu steigen, und Charlie sah sich um. Rote Lettern erschienen auf dem Fernsehschirm, der in einer Ecke unter der niedrigen Decke hing. Die Zinsrate betrug jetzt 9,5 Prozent; das war der Jahreshöchststand. Der Lärm wurde zu einem gedämpften Brüllen. Jemand rief Charlie etwas zu, aber dieser stieß heftig die Tür auf und schob mich hinaus. Die Tür schwang zurück und schloß sich mit einem leisen Plopp, das klang, als ob man den Deckel an einer Vakuumflasche öffnete. Der Lärm verschwand wie der Geist in der Flasche, und es war still. Charlie baute sich vor mir auf und stach mit dem Zeigefinger nach meinem Gesicht.
    »Jetzt hör mal zu. Diese Scheiße kannst du dir wirklich sparen — « Mehr brachte er nicht heraus, denn einen winzigen Augenblick später biß er sich auf die Unterlippe, um den stechenden Schmerz niederzukämpfen, der ihn jäh durchströmte. Shinichro, der unsichtbar im Schatten des Treppenhauses gestanden hatte, war rasch vorgetreten. Er hatte den anstößigen Zeigefinger fest ergriffen und bog ihn jetzt zurück und nach unten. Charlies lange Gestalt knickte an allen Gelenken ein und verrenkte sich in dem Bestreben, diese Qualen abzuleiten, irgendwohin, nur weg. Shinichro war nicht groß, aber irgendwann schaute Charlie zu ihm auf.
    »Charlie«, sagte ich, »das ist ein Freund von mir. Er hat nicht viel Zeit.«
     
    »Er sagt, er hat sie nicht«, stellte ich fest, als wir unvermittelt in die grelle Sonne hinaustraten. Shinichro ging eilig neben mir her.
    »Du glaubst ihm?«
    »Ich glaube ihm.«
    »Warum?«
    »Er sah aus wie einer, der eine Million Dollar verloren hat.«
    »Entschuldigung. Aber er sah aus wie ein Mann, dem der Finger sehr weh tut.«
    »Du hättest ihm nicht so weh tun müssen. Du hast ihn die ganze Zeit festgehalten, während er redete.«
    Ich blieb stehen und wandte mich ihm zu. Er schwitzte ein bißchen, wegen der Hitze und wegen des Tempos. Je fitter man ist, desto schneller schwitzt man. Ich glühte kaum, sondern schnappte nur ein bißchen nach Luft, während er ganz ruhig atmete. Ich sagte nichts. Ich schaute nach rechts, die verkehrsreiche City Road hinunter, und wartete, daß wir auf die andere Seite wechseln und in Richtung Liverpool Street weitergehen könnten. Jedes Gebäude, so weit das Auge reichte, schien in Planen oder Gerüste eingehüllt zu sein. Wann würde diese Hektik

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