Sieh mich an, Al Sony
der ihn besser kannte als sonst irgend jemand. Niemand hatte je Mitleid mit Max, nicht einmal zu Anfang. Er konnte nicht mit Menschen sprechen. Mit seinen Angestellten kommunizierte er über das Haustelefon oder über E-Mail. Ein Gespräch von Angesicht zu Angesicht war nicht zu empfehlen. Wenn er wütend war, brüllte er, und wenn er sich freute, sagte er gar nichts. Richard hatte offensichtlich das wöchentliche Briefing von ihm übernommen, das immer nur aus kurzen Monologen vor einem unbehaglichen, widerwilligen Publikum bestanden hatte. Ich bemerkte aber, daß Richard das Team an der straffen Leine führte.
»Kann ich Sie mal kurz sprechen, Max?« fragte ich.
»Wie ich höre, arbeiten Sie für uns«, antwortete er. Der beißende Rauch von seinem dünnen Zigarillo wehte mir ins Gesicht, während seine Finger auf dem Keyboard seines Computerterminals tippten.
»Richard wollte die Story.«
Er gab keinen weiteren Kommentar ab. Ich stand da und sah zu, wie er rauchte und mit seinen bleichen, schwieligen Fingern Worte in den Computer tippte. Still verstrichen die Minuten, und dann begriff ich. Er würde nichts sagen. Ich war zu ihm gekommen. Es war an mir, den ersten Schritt zu tun und auf dem Bauch zu kriechen. Wir befanden uns im Hier und Jetzt; was vergangen war, war vergangen.
»Ich habe mir ein paar alte Ausgaben angesehen.«
»In Textline?«
»Ja.«
»In unserem System?«
»Ja.«
»Wie sind Sie hineingekommen?«
»Richard«, sagte ich. Wahrscheinlich würde er überprüfen, ob mein Paßwort noch gültig war und ob ich es benutzt hatte, aber vielleicht auch nicht. Einstweilen würde ich lügen. Damit würde er rechnen.
»Es waren zwei Artikel über Export an Unberechtigte drin. Einen, der damit zusammenhing, habe ich aus der Sunday Times geholt.«
»Daten?« sagte er, und ich nannte sie ihm. Er tippte weiter, und die Minuten vergingen.
»Ich hab’ den ganzen Tag Zeit«, sagte er und blickte auf; ein Auge war braun, das andere grün gefleckt. Zu meinem Ärger wurde ich rot; meine Wangen brannten und gaben ihm die Genugtuung, zu wissen, daß er einen direkten Treffer gelandet hatte.
»Ich habe mich gefragt, ob Sie sich wohl daran erinnern«, sagte ich.
»Ja.«
»Und?«
»Was wollen Sie wissen?«
»Wer hat die Artikel geschrieben?«
In diesem Augenblick lächelte Max, ein so seltenes und enervierendes Ereignis, daß ich die Nachrichtenredaktion hätte dazuholen sollen, damit sie es für die Nachwelt aufzeichnete. Er nahm einen langen Zug an seinem Zigarillo und blies den blaubraunen Rauch langsam aus dem Mundwinkel.
»Welche?« fragte er.
»Kommen Sie schon, Max.«
Ich war überrascht von mir selbst. Nicht wegen meiner Gereiztheit — die war gerechtfertigt — , sondern wegen meiner Irrationalität. Der alte rothaarige Kater konnte mich bei lebendigem Leib auffressen. Zum Glück schien er aber unwahrscheinlich gute Laune zu haben. Er wandte sich von seinem Keyboard ab und zog eine Pressemitteilung aus dem obersten in einem Stapel von grauen Plastik-Ablagekörben. Er kritzelte zwei Zeilen darauf und legte das Blatt oben auf seinen Monitor, ehe er ein zweites nahm und auf die gleiche Weise bearbeitete, als wäre ich nicht da. Diese gleichförmige Arbeit trieb er eine Weile, bevor er sich das Wall Street Journal vornahm und nach brauchbaren Hinweisen durchforstete. Er hielt die großformatige Zeitung aufgeschlagen vor dem Gesicht, zwischen die Finger geklemmt, als habe er sie zum Trocknen aufgehängt, und erst jetzt sprach er.
»Ich denke, Sie werden feststellen, daß der Betreffende, der die Stories für uns geschrieben hat, auch dem Team der Sunday Times geholfen hat. Unter Pseudonym natürlich, weil er ohne Genehmigung nebenher gearbeitet hat. Für sie nannte er sich Dominic Charles, aber für uns war er natürlich der gute alte Charlie East. Sie wissen schon, der Investment-Zauberer — der Mann, der Ihnen fünfzigtausend Pfund schuldet.«
Max ließ die Zeitung nicht sinken, um meinen Gesichtsausdruck zu sehen. Das brauchte er gar nicht. Er hatte alles bekommen, was er wollte, selbst wenn er keine Story von mir kriegen würde. Ich war jedenfalls nicht mehr daran interessiert, sie zu schreiben. Ich war verdammt, ausgestoßen, zusammen mit dem Teufel namens Charlie East. Ich blieb nicht bei Richard stehen, um mit ihm zu reden, als ich mir meinen Weg durch den kompakten Papiermüll in Max’ verräuchertem, verkabelten Büro bahnte. Charlie East. Damals in Las Vegas — für manche war es
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