Sieh mich an, Al Sony
betteln.
»Nein. Bitte. Bitte. Ich weiß es nicht. So wahr mir Gott helfe. Ich weiß nicht, wo die Scheißdinger sind.«
»Shiny...«, sagte ich, und falsche Autorität klang wie ein Peitschenknall in meiner Stimme. Er schien mich gar nicht zu hören. Er hielt den Knöchel fest an den Boden gepreßt, so daß das steife und inzwischen wie ein grotesker Ballon angeschwollene Bein ganz unbeweglich war, obwohl Charlie den Rest seines Körpers langsam über den Boden schob. Shinichro starrte ihn ein paar Augenblicke lang mit versteinerter Miene an, und plötzlich begann Charlie sehr schnell zu reden.
»Ich wußte von ihm. Das stimmt. Das hab’ ich doch schon gesagt. Es stimmt ja. Es tut mir leid. Die Drams Wurden gestohlen. Sie wurden gestohlen. Ehrlich. Bei Gott.«
Shinichro sah zu mir auf und nickte.
»Ruf einen Krankenwagen, Georgina«, sagte er.
»Hättest du es getan?« fragte ich, als er sich in meiner Küche an den Tisch setzte.
»Ich verstehe nicht.«
»Ihm das Bein wieder krummgebogen?«
Shinichro beantwortete meine Frage nicht. »Ich glaube, du hast andere Sorgen.«
Ich schaute aus dem Fenster. Der Van war nicht da, aber ich hatte das Gefühl, daß alles, was wir sagten, aus der Wohnung sickerte wie Wasser aus einem durchlöcherten Eimer.
»Dieser Gangster. Er glaubt, einer von euch beiden hat, was er haben will«, sagte er.
»Er glaubt, du könntest es auch haben.«
»Vielleicht. Aber er glaubt nicht, daß die Chips von jemand ganz anderem gestohlen worden sind.«
»Von jemand x-beliebigem.«
»Von jemand x-beliebigem, ja.«
Unten spielte ein Mädchen mit einem kleinen, weißen Terrier in der Sonne. Der Terrier schien Federn in den Beinen zu haben, die ihn hochhüpfen und nach etwas schnappen ließen, das das Mädchen in der Hand hielt. Man konnte nicht erkennen, ob sie tatsächlich etwas hatte, aber ihre Finger lockten ihn trotzdem; der hoch angesetzte Zopf wippte um ihren Nacken, und Perlen in ihrem Haar leuchteten wie bunte Smarties. Der Hund sprang kläffend um sie herum, und seine rosarote Zunge baumelte aus der grinsenden Schnauze. Ich wandte mich vom warmen Fenster ab.
»Was würdest du tun, wenn er herkäme?« fragte ich.
Shinichro lächelte bei sich. »Ich würde ihm natürlich eine Lösung anbieten.«
»Irgendwie glaube ich nicht, daß es für ihn irgendeinen Unterschied machen würde. Du?«
Er zuckte die Achseln.
»Woran hast du also gedacht?«
Er antwortete nicht, aber er lächelte; seine Halbmondaugen legten sich in Fältchen, und er entblößte die gleichmäßigen Zähne.
»Hast du keine Angst?« Meine Stimme verriet leise Frustration. Er war undurchdringlich, wenn er sich so benahm — wie ein Kasten, der sich nur öffnete, wenn man die richtigen Holzriegel hierhin und dorthin schob. Ich mußte ihm die richtige Frage stellen, und er würde mir die richtige Antwort geben.
»Ich glaube, dein Freund wird uns jetzt allen ein bißchen Zeit geben. Damit wir über unsere Situation nachdenken können.«
Ich ging an ihm vorbei ins vordere Zimmer und zog das Sweatshirt aus. Ich hatte Hunger. Ich wollte duschen und mich hinlegen. Auf dem Weg ins Bad fiel mein Blick auf eine große Flasche Scotch, die goldbraun glänzend auf dem Sideboard stand. Es war kurz vor sechs, aber draußen schien noch hell die Sonne. Es kam mir irgendwie nicht richtig vor, am hellichten Tage Scotch zu trinken, aber ich wollte es trotzdem. Ich wollte mich mit der Flasche im Bett zusammenrollen, daraus trinken und daran nuckeln, bis mir die Tropfen übers Kinn liefen und ich betrunken zurücksinken und spüren könnte, wie das Zimmer davonkreiselte. Shinichros leise Stimme ließ mich herumfahren. Er schaute mich mit seinen von schweren Lidern überschatteten Augen eine Weile an, und dann sagte er, jedes Wort sorgfältig aussprechend: »Leg dich hin. Ich bringe dir Eis, in einem Glas.«
Wir hätten miteinander schlafen können, glaube ich, wenn ich mich dazu imstande gefühlt hätte, aber nicht wie früher. Es war jetzt anders. Früher hatten wir uns gegenseitig als Exoten betrachtet. Natürlich hatte ich seine Gesellschaft genossen und er die meine, aber wir hatten eigentlich nie beweisen müssen, wie sehr. Wir waren zu sehr damit beschäftigt gewesen, einander zu benutzen; jeder hatte sich über die fremdartige Haut des anderen bewegt und die Kraft der Unterschiede bestaunt, den Reiz der Differenz in unserem kleinen Theater der multi-kulturellen Beziehung. Wie dumm wir gewesen waren, nicht zu
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