Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sieh mir beim Sterben zu (German Edition)

Sieh mir beim Sterben zu (German Edition)

Titel: Sieh mir beim Sterben zu (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. J. Tracy
Vom Netzwerk:
hier voll auf seine Kosten; als Polizist überwand man diese Form des Voyeurismus allerdings schon am ersten oder zweiten Arbeitstag.
    Jetzt, mitten in der Nacht, war es ruhig im Vorraum, der diensthabende Wärter sah gelangweilt drein, und Magozzi und Gino waren erleichtert. Um diese Zeit fackelte niemand lange, und so wurde kurz darauf Wild Jim in die übliche Kabine geführt, deren Plexiglasscheibe schon ganz verkratzt und vernebelt war vom Atem der Liebenden, die sich ihre tiefsten Sehnsüchte durch sechs Millimeter Plastik gestehen mussten.
    Der Richter machte einen völlig klaren Eindruck, und seine Augen funkelten allen Promillewerten zum Trotz wie früher auf dem Richterstuhl. Er ließ sich vor Magozzi und Gino auf den Metallstuhl plumpsen, bedankte sich freundlich bei dem Wärter, der ihn hergebracht hatte, und nahm dann ohne großes Vorgeplänkel die beiden Polizisten ins Visier.
    «Sie kenne ich noch, Magozzi. Sie standen zweimal vor meinem Stuhl. Wenn ich mich recht entsinne, wollten Sie zwei kleine, feige Soziopathen hinter Gitter bringen, die Ihre damalige Frau aus nicht ganz nachvollziehbaren Gründen mit aller Gewalt wieder auf freien Fuß setzen wollte.»
    «Sie war die Pflichtverteidigerin.»
    Das kommentierte Wild Jim nur mit einem abfälligen Schnauben. «Polizisten und Pflichtverteidigerinnen sind keine guten Bettgenossen. Aber das ist Ihnen ja anscheinend auch klar geworden.»
    Magozzi nahm ihm diese Bemerkung ziemlich übel. Er fand es mehr als unpassend, dass der Richter seine hässliche Scheidung erwähnte, die in der Gemeinschaft der Gesetzeshüter seinerzeit schon zur Genüge breitgetreten worden war, doch es blieb ihm nichts anderes übrig, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Bei ausnüchternden Säufern konnte die Stimmung von einer Sekunde auf die andere umschlagen, wenn man den falschen Knopf drückte.
    «Ach, kommen Sie, Magozzi, verstehen Sie denn gar keinen Spaß? Ich habe vier Scheidungen hinter mir, Sie sind also dreimal klüger als ich. He, kennen Sie den Unterschied zwischen einem Verbrecher und einem Pflichtverteidiger?»
    «Nein, Herr Richter, den kenne ich nicht», sagte Magozzi, ohne eine Miene zu verziehen.
    «Ich auch nicht!» Der Richter schüttete sich aus vor Lachen über seinen eigenen uralten Witz, dann richtete sich sein Laserblick auf Gino. «An Sie erinnere ich mich auch, Rolseth. Wir haben uns zwar nur einmal gesehen, aber wir waren ein ausnehmend gutes Team. An dem Tag haben wir einiges an Ungeziefer vernichtet, das kann man wirklich sagen. Nun gut, Detectives, nachdem das ja wohl kaum ein Höflichkeitsbesuch ist: Was kann ich für Sie tun?»
    «Heute Morgen wurde ein Toter im Fluss gefunden», sagte Gino.
    «Aha. Das dürfte die vielen Polizisten bei mir im Vorgarten erklären. Was ist dem armen Teufel denn zugestoßen?»
    «Er ist ertrunken.»
    «Und ich sitze hier mit zwei Detectives vom Morddezernat. Das ist ja mal interessant.»
    Magozzi reagierte nicht auf den Einwurf. «Es hieß, Sie hätten letzte Nacht vielleicht etwas beobachtet.»
    «Sie machen sich keine Vorstellung, was für perverses Zeug ich jede Nacht da unten am Fluss beobachte. Die Leute haben Sex, sie setzen sich Schüsse, rauchen Crack … Ich weiß wirklich nicht, was los ist in dieser Stadt.»
    «Hier geht es speziell um letzte Nacht.» Magozzi versuchte, ihn wieder aufs Gleis zu setzen. «Der Sergeant, der die Anwohner befragt hat, meinte, Sie hätten irgendeinen Aufruhr mitbekommen.»
    Der Richter grinste. «Sehr zartfühlend formuliert, Magozzi. Stimmt, ich habe einem der Jungs heute früh erzählt, dass mal wieder eine durchgeknallte Schwuchtel unten an meinem Fluss herumgeplärrt hat. Sie müssen entschuldigen, aber ich halte nichts von politisch korrekter Ausdrucksweise.»
    «Herumgeplärrt? Was meinen Sie damit genau?»
    «Der Kerl ist durchs Unterholz getorkelt und hat dabei krakeelt wie ein Koloratursopran auf Helium.»
    «Hat er vielleicht um Hilfe gerufen?», wollte Gino wissen.
    Wild Jim lehnte sich zurück und rieb sich die rotunterlaufenen Augen. «Soll ich Ihnen sagen, was bei dieser Art von Befragung das Problem ist, Detectives? Ich liebe Bourbon. Und wenn man die Plörre so gern trinkt wie ich, dann sind Erinnerungen Mangelware. Falls ich tatsächlich etwas gesehen haben sollte, kann ich mich nicht daran erinnern. Ich kann Ihnen nur sagen, dass ich jemanden krakeelen gehört habe, und als Nächstes stand dann der Polizist vor mir, der mich heute früh angebrüllt hat,

Weitere Kostenlose Bücher