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Sieh mir beim Sterben zu (German Edition)

Sieh mir beim Sterben zu (German Edition)

Titel: Sieh mir beim Sterben zu (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. J. Tracy
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Stäubchen und weder Ratte noch Kakerlake –, und ein intensiver Patchouli-Duft, vermutlich von Räucherstäbchen, kämpfte tapfer gegen den Schimmelgeruch an, den die Wände in vermutlich hochgiftigen Dosen verströmten. Alan Sommers hatte im letzten Loch gewohnt, sich aber offenbar größte Mühe gegeben, es sich dort erträglich zu machen.
    Gino trat in das zweite Zimmer, das kaum größer war als ein begehbarer Schrank und schier überfloss von einer Unmenge Perücken, Schminkkästchen, Schuhe und Kleider, die in Kunststoffhüllen an wackligen Wandhaken hingen. Und inmitten all dieser Pracht als schockierender Kontrast zwei Arbeitsuniformen der Supermarktkette aus braun-gelber Kunstfaser, sorgfältig aufgehängt und einsatzbereit. «Mensch, schau dir das an», sagte Gino. «Das ist ja wie die Kleiderkammer von Cinderella. Dienstmädchen am Tag, Prinzessin bei Nacht. Der Junge muss ein echtes Doppelleben geführt haben. Und er hatte mehr Perücken als Cher.»
    «Es wird noch seltsamer», ließ sich Magozzi aus dem Wohnzimmer vernehmen, wo er ein Diplom betrachtete, das eingerahmt an der Wand hing. «Alan Sommers hat sein Jurastudium an der Billy Mitchell Law School 1989 mit Auszeichnung abgeschlossen. Wie zum Teufel kann man so herunterkommen?»
    Gino kam ins Wohnzimmer zurück und stellte sich neben Magozzi. «Hm. Ganz schöne Fallhöhe. Aber weißt du noch, was Camilla erzählt hat? Dass er einen geliebten Menschen verloren hat? Sie meinte doch, dass ihn dieses Ereignis sehr aus der Bahn geworfen hat.»
    Er durchstöberte die wenigen Schubladen und Schränke, die die kleine Wohnung zu bieten hatte, fand aber nichts weiter darin als die kleinen Schnipsel des alltäglichen Lebens. «Das ist mit Abstand die traurigste Wohnung, die ich je durchsucht habe», verkündete er. «Hier gibt es ja rein gar nichts, nicht mal ’ne Dose Cola im Kühlschrank. Man kann den Eindruck kriegen, dieser Alan Sommers war gar kein echter Mensch, sondern nur ein Pappkamerad.»
    «Ich glaube, den echten Alan Sommers findest du in der Kammer da.»
    «Mann, wenn ich noch lange hier bleibe, musst du mich wegen Selbstmordgefahr einweisen. Ich kann es nicht ertragen, in den Sachen toter Leute rumzuwühlen. Erinnert mich immer daran, wie wir das Haus meines Opas nach seinem Tod ausmisten mussten.»
    Magozzi nickte. «Hier ist auch nichts mehr zu holen. Komm, wir fahren ins Gefängnis und bestechen einen von den Jungs in Blau, damit er uns zu Wild Jim lässt, bevor sie ihn morgen wieder freisetzen.»
    «Ich wüsste nicht, womit ich einen Gefängniswärter bestechen sollte.»
    «Gib ihm einfach was von deinem Vitamin C.»
    «Dir ist aber klar, dass ich heute noch kein bisschen Schlaf gekriegt habe, Leo? Null, nada , nicht einmal Sekundenschlaf.»
    «Weiß ich. Willkommen im Club.»
    Magozzi hielt vor dem Gefängnis von Hennepin County.
    «Und dir ist auch klar, dass es drei Uhr morgens ist?»
    «Absolut.»
    «Dann muss ich wohl noch deutlicher werden. Meine Augen fühlen sich an wie zwei Spiegeleier, meine Gehirnzellen sind schon schön knusprig am Rand, und jeder beliebige Saufbruder, allen voran ein ehemaliger Richter, ist nach einer durchzechten Nacht mindestens dreimal so fit wie ich gerade.»
    Magozzi stellte die Automatik auf Parkposition und rieb sich die Augen. «Was bleibt uns übrig? Das Alan-Sommers-Zeitfenster schließt sich langsam. Wir haben schon einen kompletten Tag verloren, weil wir dachten, es ist ein Unfall, und jetzt haben wir noch mehr Zeit damit vertan herauszufinden, dass er den Club allein verlassen hat. Wild Jim ist die letzte Spur, die wir haben. Das müssen wir ausnutzen.»
    Tagsüber, während der Besuchszeiten, bot das Hennepin-County-Gefängnis einen Querschnitt durch die Gesellschaft, den es im echten Leben so nicht gab. Natürlich war da vor allem das erwartbare, massenhaft auftretende Gesindel, das dort aufkreuzte, um mit seinen gerade einsitzenden Gesindel-Gefährten zu plaudern. Dazwischen aber fand sich ein Bodensatz ganz normaler Leute, die immer etwas schockiert wirkten, weil sie verirrte Freunde oder Verwandte im Knast besuchen mussten. Hin und wieder war auch ein aufgestyltes Mitglied der Party-Gilde darunter, das sich für sonst was hielt und stinksauer darüber war, dass der Ehe- oder anderweitige Lebenspartner wegen Alkohol am Steuer verhaftet worden war, nur weil er bei irgendeiner Wohltätigkeitsveranstaltung ein bisschen zu viel Champagner getrunken hatte. Wenn man gern Leute beobachtete, kam man

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