Sieh mir beim Sterben zu (German Edition)
vielen Mücken, zu wenig Arbeit, an vielen heißen und schwülen Tagen oder auch an etwas völlig Abstrusem wie einer bestimmten Planetenkonstellation oder ähnlichem Quatsch. Der Grund interessierte Tinker letztlich gar nicht – er wusste nur, dass in solchen Jahren lauter merkwürdige Dinge passierten. Viel mutwillige Zerstörung vor allem, so wie vor zwei Wochen, als in der Seitenstraße eines friedlichen Wohnviertels bei zwanzig Autos sämtliche Scheiben eingeschlagen wurden, vermutlich von einem Baseballschläger in den Händen eines Menschen mit einer gewaltigen Wut im Bauch. Wahrscheinlich waren es Jugendliche gewesen, die aus irgendwelchen nicht nachvollziehbaren Gründen ausgeflippt waren und mit sinnloser Gewalt die Gesellschaft, von der sie sich im Stich gelassen fühlten, auf sich aufmerksam machen wollten.
Und dann die Morde. Gar nicht sonderlich viele in den letzten Wochen, aber alle äußerst unschön. Die häuslichen Streitigkeiten waren heftiger als sonst, die Raubüberfälle gewalttätiger. Dann die Sache mit den Hausfriedensbrüchen. Bis vor zehn Jahren hatte dieser Ausdruck noch kaum zu Tinkers aktivem Wortschatz gehört. Aber welcher Teufel ritt ganz normale Feld-, Wald- und Wiesen-Einbrecher, plötzlich vorsätzlich in Häuser einzusteigen, deren Bewohner im Bett lagen und schliefen? Was für ein Sadismus steckte dahinter, Leuten, die man gar nicht kannte, eine Heidenangst einzujagen und dabei ihr Eigentum zu beschädigen? Was war denn falsch an der üblichen Methode? Es war doch sehr viel weniger riskant, in Häuser einzubrechen, deren Bewohner nicht daheim waren: Man nahm mit, was man wollte, und verzog sich unbehelligt wieder. Irgendetwas war im Umbruch. Irgendetwas hatte sich verändert und sorgte dafür, dass Tinkers traurige Augen noch trübsinniger schauten als sonst, weil hinter solchen Taten offenbar nicht mehr nur schlichte kriminelle Energie, sondern echte Bösartigkeit steckte.
Geh in Rente, Tinker. Gib das alles endlich auf.
Das sagte ihm seine Frau in letzter Zeit ständig.
Seine Rentenkasse war nach all den Jahren ja wirklich gut gefüllt, und es schadete auch nichts, mit einer der besten Herzspezialistinnen im ganzen Land verheiratet zu sein, die mit ein, zwei Operationen an einem Montag mehr Geld verdiente als er im ganzen Jahr.
All das ging ihm durch den Kopf, während er auf den Fernsehschirm schaute und zusah, wie die Anzahl der gefundenen Kartons immer weiter stieg. Das sind nur ein paar Halbstarke , dachte er, denen es Spaß macht, die ganze Stadt zu terrorisieren, nur weil sie das eben können. Weil sie einfach so wahnsinnig zornig sind. Sie haben schon bei zwanzig Autos die Scheiben eingeschlagen, sind in Häuser eingebrochen, um schlafende Familien in Angst zu versetzen – und vielleicht, nur vielleicht, haben sie jetzt auch ein paar verdächtige Kartons an Stellen deponiert, wo sie eine ganze Stadt in Panik versetzen. So ist es. So muss es sein. Alles andere wäre undenkbar.
Kapitel 31
Als Magozzi den Toilettenraum betrat, stand Joe Gebeke gerade am Waschbecken und spritzte sich Wasser ins Gesicht.
«Das ging aber schnell», bemerkte Magozzi. «Falscher Alarm im Messezentrum?» Doch als Joe den Kopf hob und ihn im Spiegel ansah, erschrak er fast. Joe sah nicht besonders gut aus.
«Wir sind noch nicht fertig. Noch lange nicht.»
«Und da haben sie dich zurückkommen lassen?»
Joe stützte sich auf den Waschbeckenrand und starrte in den Abfluss. Wasser tropfte ihm vom Kinn in das Porzellanbecken. Schließlich richtete er sich auf, sah sich einmal um, trat dann näher an Magozzi heran und flüsterte: «Sie haben mich heimgeschickt, weil ich die Rezertifizierung für Gefahrengüter noch nicht abgeschlossen habe.»
Magozzi hatte das Gefühl, dass ihm gerade irgendetwas entging. Durch all die Meth-Labore und Chemieunfälle der letzten Zeit war die Abteilung für Gefahrengutschutz ziemlich durch die Medien gegangen, und jeder hatte sie schon einmal in voller Montur im Einsatz gesehen. Wenn man am Flughafen eine Dose Haarspray oder eine Kiste Wein stehen ließ, konnte man ziemlich sicher sein, dass der Gefahrgutschutz anrückte, so wie heute. Inzwischen machte selbst das Fernsehen keinen Aufstand mehr deswegen, denn wenn sich herausstellte, dass das, was wie eine Dose Haarspray aussah, auch tatsächlich nur eine Dose Haarspray war, standen die Berichterstatter da wie der Hirtenjunge, der immer «Wolf» geschrien hatte, und die Zuschauer waren verärgert, weil sie
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