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Siesta italiana: Meine neue italienische Familie

Siesta italiana: Meine neue italienische Familie

Titel: Siesta italiana: Meine neue italienische Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Harrison
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Errungenschaften, die Signor Api besaß, war der Tankwagen in seiner Auffahrt, der ihm sein Auskommen und ein einfaches Leben sicherte. Wieso nahm er sich da das Recht heraus, hochtrabende Reden über die Technik zu halten, und das in einem Ort, der mehr Geld für religiöse Feste ausgab als für seine Infrastruktur? Und wieso traf er den Nagel gleichzeitig dermaßen auf den Kopf? Ich gehörte einer modernen Welt an, Signor Api einer alten. Ich betrachtete die Technik als etwas Unvermeidliches, Signor Api als bloße Option. Hatte ich die Andranesi etwa unterschätzt? War es kurzsichtig von mir gewesen, sie für kurzsichtig zu halten? Sie konnten sich durchaus anständige Straßen leisten, wenn sie nur wollten. Sie konnten sogar Linien darauf malen. Aber sie wollten einfach nicht, weil sie andere Prioritäten hatten, die in der Vergangenheit lagen statt in der Zukunft. Das war zwar nicht besonders aufgeklärt, aber dafür unkompliziert und erfrischend.
    Als ich nach Italien zog, hätte ich nie gedacht, mich mit Leuten wie Signor Api wirklich unterhalten zu können – geschweige denn, den Vorsitzenden des Italienischen Olympischen Komitees vier Stunden lang auf Italienisch zu interviewen. Schließlich hatte ich vor Kurzem noch einen Kilometer Wurst bestellt. Sandro Donati hatte seine Karriere der Aufklärung der im internationalen Sport weitverbreiteten Korruption gewidmet. Bei der Leichtathletikweltmeisterschaft pfiff er Schiedsrichter zurecht, die das Weitsprungergebnis eines Teilnehmers bereits notierten, bevor er überhaupt gesprungen war, um sicherzustelllen, dass der von ihnen unterstützte Sportler eine Medaille gewann. In den Augen meines Chefredakteurs war Donati der wahre Champion.
    Als ich am selben Abend spät aus Rom zurück- und auf dem Weg zu unserem Idyll am Meer an der »California«-Tankstelle vorbeikam, hupte ich laut. Nach diesem langen Tag sehnte ich mich nach einer Dusche, und Daniela stand schon in der Küche und machte spaghetti alle melanzane .
    »Ich hab dir ganz vergessen zu erzählen«, schrie sie über den Boiler hinweg, während ich mich im Bad auszog, »dass der Vermieter die Wasserpumpe reparieren ließ, während du weg warst.«
    Ich drehte erwartungsvoll den Hahn auf, woraufhin direkt unter dem Haus etwas explodierte, der Boiler seine Arbeit einstellte und die Lampen zu flackern begannen.
    »Dieses geizige Arschloch hat die Pumpe selbst repariert, stimmt’s, Daniela?«
    »Äh, nein«, entgegnete sie schüchtern, eine weitere Notlüge, die mich beziehungsweise den Vermieter vor mir schützen sollte.
    Technik kann durchaus glücklich machen, Signor Api. Vielleicht brauchen wir zugegebenermaßen keine Fernseher in Autos, aber es gibt Dinge, die man wirklich gern sofort hätte – heißes Wasser zum Beispiel. Als ich sagte, das einfache Leben sei »erfrischend«, meinte ich damit auf keinen Fall kalte Duschen im Winter.
     
    Es war ein Winternachmittag am Tag meiner Rückkehr aus Rom. Ich saß im Strandhaus und arbeitete an meinem Artikel, als ein Wagen vorfuhr. Für das Liebespaar war es noch zu früh, also ging ich zum Fenster, um zu sehen, wer sich bei diesem Sauwetter sonst bis zum Hafen vorwagte. Ich identifizierte den Fahrer des silbernen Audi als Carlo, ein Freund von Danielas Familie. Ich bat ihn herein und bot ihm ein Glas Whiskey an, damit er sich aufwärmen konnte. Das Thermometer vor der Tür zeigte drei Grad Celsius, und ich hatte das Kaminfeuer ausgemacht, da ein Sturm vom Meer den Rauch zurück ins Zimmer blies.
    Der große Mann mit dem dicken Schnurrbart und dem immer dünner werdenden schwarzen Haar leerte sein Whiskeyglas – ein ehemaliges Marmeladenglas – auf einen Schluck. Entweder er wollte so schnell wie möglich sagen, weshalb er gekommen war, oder meiner simplen Behausung entfliehen. Er war gekommen, um Daniela und mich zum Abendessen einzuladen, ein Nein ließ er nicht gelten. Wegen seiner Zentralheizung und weniger wegen seiner Gesellschaft sagte ich zu, vermutete jedoch gleichzeitig irgendeine Falle. Wahrscheinlich mal wieder eine dringende Übersetzung, weshalb sich Carlo, der nichts mehr liebte als seinen Ledersessel, mitten im Winter an den Hafen hinausgewagt hatte.
    Das Essen war köstlich: pasta al pomodoro , gefolgt von einem einheimischen Fisch in Salzkruste. Carlo hatte den ganzen Nachmittag in der Küche verbracht. Nachdem er sich im reifen Alter von siebenunddreißig Jahren mit einer Beamtenpension ins Privatleben zurückgezogen hatte, war er so

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