Siesta italiana: Meine neue italienische Familie
bekam ich ein Vorstellungsgespräch für eine Teilzeitstelle als Englischlehrer an einer Sprachenschule. Daniela begleitete mich zu dem Gespräch, das an einem Samstagabend in der Wohnung der Besitzerin der Sprachenschule in der Altstadt von Lecce stattfand.
Claire war Engländerin, lebte aber seit fünfzehn Jahren in Italien, wo sie einen Italiener geheiratete hatte, von dem sie mittlerweile geschieden war. Die kleine fröhliche Frau hatte zwei Kinder, drei Vögel, zwei Hunde und eine Schildkröte, die alle beim Vorstellungsgespräch dabei waren – eine wirklich seltsame Jury. Wir saßen in ihrer Küche mit einer niedrigen Gewölbedecke, während die Kinder auf der angrenzenden Terrasse spielten und eine Schnur herabließen wie Fischer, die ihre Leinen auswerfen. Der barista benutzte die mitgelieferten Klammern und befestigte mehrere Leckereien wie Kartoffelchips und Schokoriegel daran, woraufhin die Kinder die Schnur mit hysterischem Kichern einholten. » Grazie «, riefen sie hinunter, wobei sie Schalltrichter mit den Händen bildeten. » Prego «, kam eine schwache Antwort aus der Tiefe.
Die Fragen, die mir während des Vorstellungsgesprächs gestellt wurden, waren ganz andere, als ich es erwartet hatte. »Magst du Italien?«, fragte Claire und holte mir noch ein Bier. Das war eine Frage, die mir oft gestellt wurde und um die ich mich möglichst herumdrückte. Nicht weil ich nicht gewusst hätte, was ich darauf antworten sollte, sondern weil die meisten Frager Italiener waren und eine positive Antwort erwarteten. Aber Claire saß mit mir im selben Boot, was bedeutete, dass ich ehrlich sein konnte, ohne zu riskieren, irgendeinen Nationalstolz zu verletzen. »Ich finde das Leben in Italien fantastisch frustrierend«, entgegnete ich. Es tat gut, jemanden zu treffen, der genau wusste, was das bedeutet, ja sogar meiner Meinung war. Ich hätte ihr den ganzen Abend lang erklären können, was mich – neben Daniela – in einem Land hielt, das ebenso frustrierend wie fantastisch war. Aber allein schon dieser Abend sprach für Italien und seine unerwarteten Freuden, die unter anderem darin bestehen, dass ein Mann auf der Suche nach einer Teilzeitstelle eine Vollzeit-Freundin findet.
Ich erzählte Claire, wie fehl am Platze ich mich plötzlich in England und Australien gefühlt hatte. Ich erzählte ihr von dem schwierigen Privileg, zwei Welten zu kennen, sich aber in keiner ganz zu Hause zu fühlen. Claire lächelte. »Es wird nur noch schlimmer«, sagte sie. »Wenn ich hier bin, vermisse ich mein Zuhause, und wenn ich zu Hause bin, vermisse ich Italien. Ich glaube nicht, dass ich wieder von hier weggehen werde. Trotz seiner Fehler hält mich Italien jung und flexibel.« Ich fand es interessant, dass Claire England selbst noch nach fünfzehn Jahren als »Zuhause« bezeichnete und nicht Italien. Wenn Zuhause dort ist, wo das Herz wohnt, ließ das vermuten, dass ihres woanders wohnte. Trotzdem war sie nach ihrer Scheidung in Lecce geblieben. Ich konnte mir nicht vorstellen, in Andrano zu bleiben, falls sich die Wege von Daniela und mir einmal trennen sollten.
Wie in den meisten Gesprächen über Italien kamen wir schon bald auf das Essen zu sprechen. Und so fragte mich Claire als Nächstes nach meinen kulinarischen und nicht nach meinen beruflichen Erfahrungen. Aus irgendeinem Grund wollte sie wissen, was ich von der italienischen Küche hielt. Vielleicht gab es eine Kantine in der Schule, die mir gefallen sollte. Ich sagte, ich liebe das italienische Essen, vermisse aber manchmal die kulinarische Vielfalt, vor allem die asiatische Küche. Claire ging es ganz genauso, und so lud sie uns für das kommende Wochenende zum Abendessen ein und versprach uns, Sushi zu machen und ihre englische Freundin einzuladen. Sie nannte mir die Adresse eines Geschäfts in Lecce, das Sojasauce und Erdnussbutter verkauft. Sie wusste nicht, ob es dort auch Vegemite gab, aber bestimmt Marmite – was laut Claire dasselbe war. Ich glaube, das war das erste Mal, dass wir an diesem Abend nicht einer Meinung waren.
Mein Lebenslauf lag ungelesen in Danielas Handtasche, während Claire fragte, ob ich am folgenden Dienstag bereits unterrichten könne. Allein dass ich Englisch sprach, schien ihr als Qualifikation völlig auszureichen. Ich würde einen ihrer Kurse übernehmen, da sie ihren Kindern versprochen hatte, nach Bari zu fahren, um die Ankunft eines berühmten Kriegsschiffes anzuschauen. Ich bekam die Adresse der Schule und ein Lehrbuch, mit
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