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Siesta italiana: Meine neue italienische Familie

Siesta italiana: Meine neue italienische Familie

Titel: Siesta italiana: Meine neue italienische Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Harrison
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Spitze des Stiefels hat die zweifelhafte Ehre, die höchste Arbeitslosenquote in ganz Europa zu besitzen. Unfruchtbare Felder säen Verzweiflung. In einem abgelegenen sizilianischen Dorf ermordete ein Arbeiter, der manchmal vom municipio beschäftigt wurde, den Bürgermeister und vier Verwaltungsbeamte, als man ihm die Bitte um einen Vollzeitjob abschlug.
    Ironischerweise war es Carlos Generation, die der von Roberto das Leben schwermachte. Die Christdemokraten, die seit Gründung der italienischen Republik beinahe vierzig Jahre lang regiert hatten, konnten trotz einer schwachen Koalition nach der anderen auf eine treue süditalienische Wählerschaft zählen, und zwar überwiegend wegen einer clientelismo genannten Praxis, nämlich dem Tausch von Jobs im öffentlichen Dienst gegen Stimmen. Im Jahr 1976 hatte Palermo mehr als 2500 Müllmänner!
    Um Beamtenstellen freizumachen, die gegen politische Loyalität eingetauscht worden waren, schickte die Regierung die Leute extrem früh in Pension, indem sie die Lebensarbeitszeit von fünfunddreißig auf neunzehn Jahre, sechs Monate und einen Tag herabsetzte – auch wenn die meisten diesen letzten Tag freinahmen. Das half zwar den Christdemokraten, ihre Macht im Süden zu festigen, ruinierte aber gleichzeitig den Staatshaushalt, da siebenunddreißigjährige, arbeitsfähige Menschen großzügige Pensionen bezogen.
    Roberto hatte unter den Konsequenzen zu leiden und musste für die Frühpensionierung seines Vaters bezahlen. Ihm bleibt ein Job im öffentlichen Dienst verwehrt, da diese Stellen seit der Heraufsetzung der Lebensarbeitszeit mittlerweile rar sind. Und jeder Job, den er mit viel Glück und mit oder ohne Vatikankontakte in der freien Wirtschaft bekommen kann, unterwirft ihn Italiens lähmenden Steuersätzen, die ein Jurastudent, den ich in Mailand unterrichtete, einmal als obszön bezeichnet hat. Aber irgendjemand muss ja für Carlo zahlen: Er, der schon als grüner Junge in Rente geschickt wurde, Tomatensauce im Bart und eine Zigarrette zwischen den Lippen hat, darf sich jetzt von seinem Lieblingslehnsessel aus Sorgen um die Zukunft seines Sohnes machen.
    Daniela gab mir unter dem Tisch einen Tritt und warf mir einen Blick zu, der mich anflehte zu kollaborieren, in erster Linie wegen der Freundschaft ihrer Familie zu Rosaria und weniger wegen Carlo. Aber wie konnte ich schreiben, dass ihr Sohn einen Universitätsabschluss besaß, wenn er die Schule in Wahrheit weit vor dem Läuten der Schulglocke verlassen hatte? Ich sah mir das Feld an, in dem Details der jetzigen Lebenssituation des Bewerbers abgefragt wurden. Roberto fand es nicht sehr klug zu schreiben, dass er zweimal die Woche in örtlichen Bars Cappucinos ausschenkte, weil das eine Firma, die sich auf Satellitensteuerungssysteme spezialisiert hatte, wahrscheinlich nicht interessieren würde. Das war die erste intelligente Bemerkung, die ich bisher von ihm hörte. Zu dumm, dass er sie nicht auf Englisch gemacht hatte. Carlo schlug vor, ich solle schreiben, dass Roberto zwei Kurse besuche, einen in Multimedia und einen in Französisch. Als ich protestierte, erinnerte er mich erneut an die Irrelevanz dieses Formulars, hielt seine Trumpfkarte hoch und drängte mich, das Feld auszufüllen, in dem nach Referenzen gefragt wurde. Dort musste ich alle sieben Vatikankontakte hinschreiben, obwohl nur Platz für zwei vorgesehen war. Der Glückspilz Carlo war ein religiöser Mann, denn sonst hätte seinem Sohn nicht einmal mehr das Beten geholfen.
    Ich ließ den Stift sinken und sah Carlo an, der wie aus Scham hinter einer dicken Wolke Zigarettenrauch verschwunden war. Wenn ich nicht gehört hätte, dass er hustete, hätte ich schwören können, er habe sich in Luft aufgelöst. Trotz der Kälte war ich entzückt, in die Einsamkeit und zu den Sternen über unserem Strandhaus zurückzukehren. Dort schenkte ich mir einen Gutenachttrunk ein und nahm meine Arbeit an dem Artikel über Korruption im Sport wieder auf, während ein ausgesetzter Hund auf meinem Schoß lag und der Architekt mit seiner Geliebten über uns die Fundamente des Gebäudes austestete. Gab es irgendwo auch noch ehrliche Leute?
    Roberto bekam den Job in Rom. Ich kann immer noch nicht glauben, dass ihn die Firma, von der Carlo getönt hatte, tatsächlich genommen hat. Ich kann Ihnen nur empfehlen, sich vor abstürzenden Satelliten zu hüten!
    Die Nächte wurden kürzer und die Tage länger, das Meer beruhigte sich, und der Himmel klarte auf, Zweige knospten,

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