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Siesta italiana: Meine neue italienische Familie

Siesta italiana: Meine neue italienische Familie

Titel: Siesta italiana: Meine neue italienische Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Harrison
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Kamine hörten auf zu rauchen, und Signor Api tauchte wieder hinter seiner Wollmütze auf, obwohl er den Overall noch ein, zwei Monate länger tragen würde. Andrano erwachte mit den Geräuschen und Gerüchen des Frühlings zu neuem Leben: mit Mohnblumen, Rotkehlchen und dem Pfeifen eines vorbeifahrenden Radlers.
    Das Ende des Winters läuteten zwei Festivals ein, ein religiöses und, Gott sei Dank, ein heidnisches. San Martino hatte den Beginn der Kälte angekündigt, jetzt feierte man mit carnevale ihr Verschwinden. Ende Februar versammeln sich die Andranesi auf der Piazza Castello für ein Fest, mit dem die Italiener »den Sieg des Frühlings über die Dunkelheit des Winters« feiern. Viele Einwohner hatten sich seit dem Weinfest nicht mehr gesehen. Doch obwohl sie sich trafen, blieb ihre Identität geheim, denn auf dieser anonymen Feier war Verkleidung Pflicht.
    Das Motto der Veranstaltung war simpel: »A carnevale ogni scherzo vale « – »Im Karneval ist alles erlaubt.« Eine gruselig aussehende Truppe von Teufeln, Trollen und Hexen, die alle aussahen wie unser Vermieter, hüpften auf der Piazza herum und spritzten sich mit Rasierschaum und Wasserpistolen voll. Vor der Party war eine Parade durch den Ort gekurvt. Auf den Wagen waren satirische Pappmascheefiguren zu sehen gewesen wie Berlusconi, der an einen Lügendetektor gekettet war, und Michael Schumacher, der auf einem Ferrari stand und eine Trophäe schwenkte.
    Andrano feiert nur einen Abend lang, aber der carnevale dauert eine Woche, ein Zeitraum, in dem sich Freunde in ganz Italien einen Streich spielen. Francesco schickte einen gefälschten Brief vom Standesamt an Antonio und Adele und informierte sie, dass es illegal sei, ein Kind nach einem geographischen Ort zu benennen. Er gab ihnen zehn Tage Zeit, den Vornamen ihrer Tochter zu ändern. Antonio gab zu, einen Moment verunsichert gewesen zu sein, bis ihm auffiel, dass erst ein Jahr seit Asias Geburt verstrichen war – und so schnell hätte eine italienische Behörde niemals reagiert.
    Daniela hatte schöne Erinnerungen an carnevale , und dafür waren vor allem die Streiche ihrer Mutter verantwortlich. Vor einigen Jahren hatte sich Valeria mit einem befreundeten Lehrer als dicker Mann verkleidet, war über die Piazza gelaufen und hatte ihren Schülern gesagt, sie sollten » andare a fare in culo «, also »sich selbst ficken« – kein besonders schöner Satz für Kinderohren, der allerdings auf Italienisch wesentlich netter klingt als in der Übersetzung. Das vulgäre Duo stahl allen die Schau, und noch Wochen nach carnevale rätselte der ganze Ort, wer das wohl gewesen war. Valeria hatte sich bei einer Freundin in Marittima verkleidet, und nicht einmal Franco wusste, dass seine Frau das Gesprächsthema im ganzen Ort war. Als es ihm Valeria einen Monat später gestand, regte er sich furchtbar auf. Aber sie verteidigte ihre Posse, indem sie sagte: »Meine Schüler behandeln mich jeden Tag wie den letzten Dreck. Da wurde es höchste Zeit, es ihnen endlich mal heimzuzahlen.«
    Über zehn Jahre später holten Daniela und ich Franco, der mittlerweile unfähig war, sich aufzuregen, ans Fenster, um die am Haus vorbeiziehende Parade anzuschauen. Die Straße war vollkommen für den Verkehr gesperrt worden, und zwar vom vigile , dem einzigen Festbesucher, der normal angezogen war, auch wenn irgendein Witzbold Hörner an seinem Helm befestigt hatte. In einem Ort, in dem jeder jeden kennt, ist es bizarr, plötzlich niemanden mehr zu kennen. Aber die Andranesi amüsierten sich prächtig darüber, nicht sie selbst zu sein, und maskierten sich als eine Menagerie aus Monstern und Kobolden. Hulk schwang sich aus einem Baum, und ein Teufel drohte einer Nonne mit einer Forke aus Pappmaschee. Ein kaum bekleidetes Nymphchen mit einer Monstermaske rannte schreiend die Straße hinunter und wurde von einem lüsternen Priester verfolgt, der nach ihrem Busen griff.
    Ich sah der Frau in dem engen Rock und dem knappen Oberteil gerne zu, nicht weil sie – wer immer das auch sein mochte – attraktiv war, sondern weil der Sommer bei diesem kurzen Kostüm bestimmt nicht mehr lange auf sich warten ließ. Und das war wirklich ein Grund zum Feiern.

23
     
    Vero o falso?
     
    I n seinem Buch L’Italia del Pizzo – Das Italien des Schmiergelds – schreibt Franco Cazzola, ein Soziologieprofessor aus Turin, dass die am weitesten verbreitete Form von Korruption in Italien das Bestechungsgeld ist, mit dem man sich den Führerschein

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