Siesta italiana: Meine neue italienische Familie
sichert. Als mein internationaler Führerschein ablief, verstand ich auch, warum. Denn obwohl ich seit zwölf Jahren Auto fahre und das letzte davon in Italien, musste ich mich bei einer italienischen Fahrschule für den europäischen Führerschein qualifizieren. Das Ganze hätte eigentlich nur wenige Wochen dauern sollen, aber es dauerte drei Monate.
Auf Renatos Rat hin entschied ich mich für eine Fahrschule in Caritano, einer staubigen Ansammlung von Zement, etwas landeinwärts von Andrano. Das einzige Erkennungsmerkmal der Fahrschule, die in einem schlichten Haus mit zwei Räumen untergebracht war, waren ein Schild mit der Aufschrift Autoscuola sowie »Stopp«- und »Hier kein Eingang«-Aufkleber an der gläsernen Eingangstür. Aber ich beachtete diese Warnungen nicht und betrat die Fahrschule, was ich noch schwer bereuen sollte.
Eine biedere, sommersprossige Brünette, die Sekretärin der Schule, saß hinter ihrem Schreibtisch im Warteraum und rauchte eine dünne Zigarette. Hinter ihr hing ein »Rauchen verboten«-Schild an der Wand – ein schöner erster Eindruck von einem Ort, an dem man mir das Beachten von Regeln beibringen sollte. Als ich der Frau meine Situation schilderte, zog sie eine Grimasse, blies mir einen Schwall Rauch ins Gesicht und schrie: » Vieni Michele! « in Richtung des angrenzenden Raums.
Michele war der Eigentümer der Fahrschule, groß, elegant gekleidet und mit einer Art Bartskelett – eine ziemlich affektierte Form von Gesichtsbehaarung -, das der Kontur seines Kinns folgte. Der vorzeitig Ergraute betrat den Raum, wo wir einen Deal machten, der berücksichtigte, dass ich beinahe genauso lang Auto fuhr wie er. Ich erklärte mich einverstanden, der ersten Woche seines vierwöchigen Kurses beizuwohnen, »nur um die Straßenschilder durchzugehen und sicherzustellen, dass Sie ihre Bedeutung kennen«: Danach würde er mich für die Theorie- und Praxisprüfung in Lecce anmelden. Der Plan klang einfach.
Am folgenden Abend kehrte ich zur Schule zurück, um dort einen Sehtest mit einem Augenarzt durchzuführen. Eine Woche und eine Anzahlung von 50 Euro später bekam ich mein foglio rosa , meinen Anfänger-Führerschein, und zwar ohne jede Theorie-Prüfung. Das war völlig normal und lag nicht etwa an meinen besonderen Umständen: In Italien fängt man an zu fahren, bevor man die Verkehrsregeln lernt.
Micheles Kurs ging von halb sieben bis halb acht, und zwar an fünf Abenden die Woche. Am ersten Abend rauchten die Schüler aus Caritano und den umliegenden Ortschaften Zigaretten im Hof, während sie darauf warteten, dass der Kurs begann. Sie sahen neugierig zu, wie ich vorfuhr, einhändig rückwärts einparkte, bevor ich als Fahrschüler mit meinem Lehrbuch unterm Arm die Schule betrat.
In einem schwülen Raum mit gekalkten Wänden und einer niedrigen, gewölbten Decke begann Michele wichtigtuerisch seinen Unterricht und setzte sich an einen noch wichtigtuerischeren Schreibtisch. Sein Publikum bestand aus zwanzig Teenagern und einem etwas reiferen Schüler. Die Jungs schienen mehr Sorgfalt auf ihr Äußeres verwendet zu haben als die Mädchen. Einer hatte sich sogar die Brauen gelockt. Das hier war vor allem eine Gelegenheit, Frauen aufzutun statt Fahrtipps. Wir saßen auf Unistühlen mit Klapppult, auf das wir unser 207 Seiten starkes Lehrbuch mit dem Titel Auto e moto su strada legten, das alle möglichen Informationen enthielt, von der Bedeutung einer roten Ampel bis hin zur Funktion eines Dieselmotors.
An der Wand hinter Michele befanden sich eine Tafel, ein Bildschirm, eine Ampel und eine Sehtest-Tafel. Hoch über seinem Kopf hingen zwei Plakate, die etwa im Maßstab 1:1 den Kühler und das Heck eines Fiat 500 mit Scheinwerfern, Blinkern und Nummernschildern zeigten. Neben diesem Auto, das durch eine Wand gefahren zu sein schien, hing ein Poster, das die Bedeutung jeder Anzeige und jedes Knopfes am Armaturenbrett erklärte.
Die Wände des Zimmers wurden von allen möglichen Autoteilen gesäumt, die auf wackelige Halterungen montiert waren, darunter befand sich auch ein Motor. Sie alle sahen alt genug aus, um tatsächlich von jenem Fiat stammen zu können – Bremssysteme, Benzinschläuche, Getriebe und mehrere Zylinder und Pumpen. Ein ganzes Auto schien im Unterrichtsraum zerlegt worden zu sein. Das Einzige, was fehlte, waren die Räder und der Rückspiegelanhänger.
Die Wände zierten Poster, die Verkehrszeichen, die korrekte Verwendung des Sicherheitsgurtes und
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