Siesta italiana: Meine neue italienische Familie
durchlöchert. Wie uns Michele erklärte, verbietet das Schild das Hupen außer bei einem Notfall, bei Hochzeiten und natürlich bei einem Sieg von Ferrari oder den Azzurri – der Fußballnationalmannschaft. Eine idiotische Verkehrsregel, da Italiener keine hundert Meter fahren, ohne zu hupen, so als müsse man, um von A nach B zu fahren, B erstmal Bescheid geben, dass man kommt.
Obwohl das Schild an allen fünf Zufahrten zu Andrano steht, können nur wenige Autofahrer einem musikalischen Gruß widerstehen, wenn sie an einem Bekannten vorbeifahren. Und Gewinner von Vespa-Rennen können sich auch noch spät in der Nacht keinen Siegesgruß mit ihren quäkenden Hupen versagen. Und all das, während das Schild, das solche Frivolitäten untersagt, stumm am Stadtrand vor sich hin rostet. Sogar Michele, ein Anhänger überflüssiger Erklärungen, verschwendete nicht viel Zeit mit diesem Verkehrszeichen. Man kann den Italienern eher die Luft zum Atmen nehmen als das Recht, Krach machen zu dürfen.
Nachdem wir die Verkehrszeichen durchhatten, widmeten wir uns den Signalen, die auf die Fahrbahn aufgemalt sind. Michele informierte uns, dass solche Signale stets weiß seien, eine Information, die, so sollte man meinen, alle weiteren Farben ausschließt. Aber unser Lehrer wollte auf Nummer sicher gehen.
F: »Pfeile auf der Fahrbahn sind rot.«
A: »Falso.«
F: »Pfeile auf der Fahrbahn sind blau.«
A: » Falso. «
Ich werde ihn nicht erwürgen, sondern überfahren. Anscheinend darf man das, vorausgesetzt, er geht von links über die Straße.
Die einzige Logik, die ich in Micheles Methode sah, war die, dass ein Schüler, der weiß, was Verkehrszeichen alles nicht bedeuten, sich vielleicht auch daran erinnert, was sie bedeuten. Aber jemandem zu sagen, dass er eine Zugbrücke nur überqueren kann, wenn sie geschlossen ist, spricht ihm jeden gesunden Menschenverstand ab. Micheles Kurs ärgerte mich und verstörte meine Klassenkameraden. Ihre Antworten im Test gegen Ende der ersten Woche zeigten, dass sie eher verwirrt als vorbereitet waren. Ein Mädchen dachte, ein Entfernungsschild mit der Aufschrift » Venezia 4 « bedeute, dass man sich in der vierten Spur für die Ausfahrt Venedig einordnen müsse. Aber das war in erster Linie die Schuld des Lehrers und nicht die seiner Schülerin. Sie wäre nie auf eine so komplizierte Antwort gekommen, wenn Michele sie nicht erst darauf gebracht hätte. Die junge Frau sollte in drei Wochen ihre Theorieprüfung machen, und so wie es aussah, würde sie die vier Kilometer nach Venedig wohl laufen statt fahren müssen.
Nach dem Freitagsunterricht fragte ich Michele, ob jede autoscuola in Italien die Verkehrsregeln so erkläre wie er.
» No no no «, sagte er stolz. » Ich habe dieses System erfunden.«
» Complimenti «, sagte ich lächelnd.
» Grazie «, entgegnete Michele, der viel zu eitel war, um meinen Sarkasmus zu bemerken.
Ich erklärte ihm, dass ich mir nach zwölf Jahren hinter dem Steuer ziemlich sicher sei, welche Farbe die Pfeile auf den Straßen haben, und bat ihn, mich wie versprochen für die Führerscheinprüfung anzumelden. Er versicherte mir, dass er das durchaus tun würde, er wolle mich aber erst noch selbst prüfen, damit ich am Tag der Prüfung keine Probleme hätte. Ich erklärte mich einverstanden mit seinem Vorschlag, der durchaus annehmbar schien, und machte einen Termin für den darauffolgenden Montag aus. Außerdem vereinbarten wir eine Testfahrt für Dienstag, um sicherzustellen, dass ich gut auf die Führerscheinprüfung vorbereitet war.
Zur Verabredung am Montag erschien ich fünf Minuten zu früh, in der Hoffnung, die zweite Woche würde produktiver sein als die erste. Eine halbe Stunde später war Michele immer noch mit einer Gruppe von Schülern im Unterrichtsraum beschäftigt. Als er fertig war, luden sie ihn in der Bar zu einem aperitivo ein. Michele nahm an, bevor er mich im Warteraum entdeckte und sich an unsere Verabredung erinnerte. Als er merkte, dass er sich doppelt verabredet hatte, aber keine Verabredung absagen wollte, versuchte er beides miteinander zu verbinden, indem er mich ebenfalls in die Bar einlud. Als ich ablehnte und sagte, dass ich gleich anschließend einen Englischschüler hätte, bat er mich zu warten, er würde nur ein Getränk nehmen. Ich lachte und deutete an, dass es unprofessionell sei, einen Schüler warten zu lassen. Aber Michele verstand keine Ironie. Nicht mal, wenn man ein Schild hochhielt, auf dem stand: »Ironie
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