Siesta italiana: Meine neue italienische Familie
in wenigen Metern.«
Als ich begriff, dass aus unserem Termin wohl doch nichts mehr werden würde, schlug ich vor, den Theorietest nach meinem Pseudo-Fahrtest am folgenden Tag zu absolvieren, außer er hätte diese Verabredung auch vergessen. Das hatte er nicht, musste sie wegen eines Termins in Lecce allerdings absagen.
»Sagen wir nächsten Montag, so um halb acht?«, schlug er vor.
»Aber das ist ja erst in einer Woche!«
»Allora?«
Am folgenden Montag betrat ich pünktlich den Unterrichtsraum und überraschte Michele dabei, wie er mit seiner Stunde für zukünftige Lastwagenfahrer begann. Jeder seiner Schüler war übergewichtig, so als sei das Voraussetzung für diese Führerscheinklasse.
»Sie haben den Termin wieder vergessen, stimmt’s?«
»Nein, nein. Kommen Sie rein. Setzen Sie sich. Fangen wir an.«
Obwohl er es nicht zugeben wollte, hatte er unsere Verabredung erneut vergessen. Doch anstatt einen neuen Termin zu vereinbaren, befragte er mich eine halbe Stunde vor seinen Schülern, von denen niemand etwas gegen diesen Exkurs einzuwenden hatte. Sie mampften Pflaumenkuchen, den irgendjemand zum Unterricht mitgebracht hatte, und schienen sich köstlich über den Australier zu amüsieren, der versuchte, sich einen Weg durch den italienischen Schilderwald zu bahnen, klatschten bei jeder richtigen Antwort und riefen laut »Bravo, bravo!«
Während einer kurzen Pause fragte ich Michele, wie hoch die Promillegrenze in Italien sei. Das interessierte mich schon seit Längerem, aber weder Daniela noch mein Lehrbuch konnten mir in diesem Punkt weiterhelfen.
» Zero virgola tre« (0,3), sagte er schnell, so schnell, dass man annehmen sollte, die Antwort sei richtig.
Meine Zuhörer stellten das Kauen ein.
» Non è vero «, widersprach ein beleibter Bärtiger, der gerne auch mal was sagen wollte. »Sie liegt bei zero virgola quattro .«
»Nein, bei zwei Bier in einer Stunde«, sagte ein anderer und prustete einem Mitschüler lauter Krümel ins Gesicht.
»Nein, bei drei Bier«, sagte ein Dritter, der seine Schuhe ausgezogen hatte und sich die Füße massierte.
» Zero virgola tre «, schrie Michele und blätterte das Lehrbuch durch, um es zu beweisen, fand aber nur die Passage, die ich auch gefunden hatte. Darin stand vage, dass alles, was mehr ist als ein halber Liter Weißwein pro Tag, im Blutkreislauf bleibt. Später stellte ich fest, dass sich sowohl Michele als auch seine Schüler irrten. Die einstige Promillegrenze von 0,8 war 2002 auf 0,5 reduziert worden. Aber solche Nebensächlichkeiten interessieren Italiener nicht, die Gott sei Dank ohnehin nicht viel trinken. Man fragt sich, wie viele Verkehrstote es gäbe, wenn sie auch noch trinken würden.
Nach einer halben Stunde und zwei Pflaumenkuchen schlug Michele vor, dass ich am folgenden Montag wiederkommen solle, um mit dem Test fortzufahren. Als ich nach dem Fahrtest fragte, meinte er, den würden wir in der nächsten Woche ebenfalls erledigen. Frustriert erklärte ich mich einverstanden, aber nur, wenn er mich zur Führerscheinprüfung anmeldete. Mich anzumelden schien allerdings eine noch größere Herausforderung zu sein, als die Prüfung zu bestehen.
Als ich am nächsten Montag wiederkam, war Michele nicht da. »Er wurde in Lecce aufgehalten«, so seine Sekretärin. »Kommen Sie morgen wieder.« Am Abend darauf erschien ich zum selben Zeitpunkt und sah, wie sich Michele im Warteraum den Mantel zuknöpfte und zum Minibus der Schule eilte. »Ich bin gleich bei Ihnen«, sagte er, »ich muss vorher nur noch ein paar Schüler nach Hause fahren.«
Die Sekretärin, der ich entweder leidtat oder der ich im Warteraum auf den Geist ging, sagte, ihr Chef sei bestimmt eine Stunde weg, bevor er alle Schüler zu Hause abgesetzt hätte. Genervt wegen der vergessenen Verabredungen und gebrochenen Versprechen ignorierte ich das Stoppschild auf der Tür und stürmte zum letzten Mal aus Caritanos autoscuola . Ich war in einem Monat keinen Schritt weitergekommen und musste einsehen, dass das einzig Disziplinierte an Michele seine Bartpflege war.
24
Giovanni, der Hochwillkommene
A ls Daniela vor zwölf Jahren Fahrschulunterricht genommen hatte, verbrachte sie mehr Zeit am Strand als im Unterrichtsraum. Ihr unkonventioneller Lehrer, Giovanni Benvenuto, der für eine autoscuola in Castellano arbeitete, zog es vor, den Unterricht am Strand zu halten. Daniela weiß noch, wie Giovanni sie von zu Hause abholte, zusammen mit einer Wagenladung anderer
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