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Siesta italiana: Meine neue italienische Familie

Siesta italiana: Meine neue italienische Familie

Titel: Siesta italiana: Meine neue italienische Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Harrison
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Namen wieder falsch von meinem Personalausweis ab und trug ihn in sein Formular ein.
    Als er mit mir fertig war, kam die alte Dame im Warteraum dran. Die mit achtzig immer noch unabhängige Frau, der Giovanni zwar vom Sofa hatte aufhelfen müssen, stützte sich auf ihren Stock, blinzelte hinter ovalen Brillengläsern hervor und las atemlos die Buchstaben auf dem Plakat vor – » pee, zeta, esse, acca, kappa .« Sie bestand locker, obwohl Giovanni meinte, sie habe den alljährlichen Check bei der Fahrschule mittlerweile so oft gemacht, dass sie das Plakat bestimmt auswendig konnte. Anschließend humpelte die alte Frau zurück in den Warteraum und reichte der Sekretärin ihren Führerschein: ein verblasstes, zerfetztes, brüchiges Stück Papier, das das Verkehrsministerium vor mindestens vierzig Jahren ausgegeben hatte.
    Im Innendeckel des ziehharmonikaartigen Dokuments befand sich ein Schwarzweißfoto der Frau aus ihrer Jugendzeit, das mittlerweile mehr Ähnlichkeit mit der Sekretärin als mit der Führerscheininhaberin hatte. Auf dem Rückendeckel klebte eine Sammlung von Steuermarken. Bis vor wenigen Jahren mussten die Italiener jährlich 35 Euro zahlen, für das Privileg, einen Führerschein zu besitzen. Wie bei den meisten Steuern, die für solche Dokumente erhoben werden, diente ein bollo in der Höhe der Steuer als Beweis für ihre Entrichtung, eine Steuermarke, die beim Tabakhändler erhältlich war und auf den Führerschein geklebt wurde. Bei vier Autofahrern zahlte Danielas Familie 140 Euro pro Jahr nur an Führerscheinsteuern. Deshalb beschloss sie, nur eine Steuermarke zu kaufen, und sie zusammen mit den Autoschlüsseln aufzubewahren. Wer gerade das Auto nahm, nahm auch die Steuermarke und klebte sie vorübergehend auf den Führerschein. Anschließend wurden die Autoschlüssel wieder an den Nagel gehängt und die Marke auf den Tisch gelegt, damit sie dem nächsten Familienmitglied, das beides benötigte, zur Verfügung standen.
    Danielas Familie war nicht die einzige, die das Gesetz mithilfe einer feuchten Zunge umging. Es gab zahlreiche Anekdoten, von denen natürlich die meisten aus Neapel stammten, wie man die Marke am besten im Führerschein befestigt, damit es so aussieht, als ob sie sich ständig dort befände. Carabinieri verteilten Bußgelder an Autofahrer wegen falsch befestigter Steuermarken, und die typische italienische Pattsituation zwischen Bürger und Regierung entstand. Irgendwann wurde die Steuer abgeschafft, und man ersparte den Fahrern die geschmacklose Routine, die Marke abzulecken, bevor sie den Schlüssel im Zündschloss drehten.
    Nachdem ihr Führerschein, aber nicht ihre Beine erneuert worden waren, humpelte die Frau aus der Tür, die ihr von Giovanni aufgehalten wurde. » Buonasera «, murmelte sie zu niemandem Bestimmten, ein süditalienischer Brauch, wenn man ein Geschäft oder ein Büro verlässt.
    » Buonasera «, echoten alle im Raum halbherzig. Während mir die Sekretärin mein zweites foglio rosa ausstellte, bat uns Giovanni in sein Büro. Dort erklärte er uns, dass Ausländer, die einen italienischen Führerschein brauchen, eine Erlaubnis von ihrer jeweiligen Botschaft benötigen, die Prüfung mündlich durchzuführen. Als er sagte, dass ich mir dieses Formular persönlich abholen müsse, protestierte ich, denn das hätte eine Fahrt nach Rom oder Mailand bedeutet. Aber Daniela bestand darauf, dass Giovanni es besser wisse, und ich hatte nicht vor, ihren Rat ein zweites Mal in den Wind zu schlagen.
    Um mir eine Vorstellung davon zu geben, was die Botschaft schreiben sollte, bot mir Giovanni an, einen Brief zu fotokopieren, den ein albanischer Schüler erfolgreich verwendet hatte. Als er seiner Sekretärin befahl, ihm die Kopie zu machen, entgegnete sie wütend: »Eines nach dem anderen, Giovanni! Soll ich das foglio rosa heute noch fertig kriegen?« Giovanni senkte den Kopf wie ein Schuljunge, der eine Scheibe eingeworfen hat. »Sie ist Schweizerin«, flüsterte er, »und wahnsinnig pedantisch.« Vorher war die Schule geöffnet gewesen, wenn sie aufmachte, bis sie zumachte. Jetzt hatte sie von halb sechs bis halb neun geöffnet.
    Während wir auf die Sekretärin warteten, erzählten wir Giovanni von unseren Erfahrungen mit Michele. Er lachte herzhaft, als ich ein paar von seinen »Richtig oder falsch«-Fragen zum Besten gab. Giovanni kannte Michele und sagte, er könne gut verstehen, warum wir aufgegeben hätten. »Von hundert Worten, die aus Micheles Mund kommen«, so

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