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Siesta italiana: Meine neue italienische Familie

Siesta italiana: Meine neue italienische Familie

Titel: Siesta italiana: Meine neue italienische Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Harrison
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rotblonden Bitten abzuschlagen, Liebeslieder aus eigener Feder zu übersetzen. Erst als sie darauf bestand, sie mir vorzusingen, damit ich ihre Aussprache überprüfen konnte, sah ich mich gezwungen abzulehnen – nicht nur, weil sie erwartete, dass ich mit einstimmte, sondern weil noch weitere zehn Schüler dabei waren und ich ein noch schlechterer Sänger als Übersetzer bin.
    Der Unterricht bestand allerdings nicht nur aus Liebesliedern, Dekolletees und Konversation. Vor allem in Gruppenkursen versuchte ich, das Englisch der Schüler genauso zu verbessern, wie sie mein Italienisch verbesserten. Die meisten fanden die englische Sprache schrecklich kompliziert, und eine Schülerin führte sogar wissenschaftliche Beweise dafür an. Francesca aus Bologna, die mittwochs und freitags um fünf Uhr bei mir Unterricht nahm, hatte einen Artikel in Il Corriere della Sera entdeckt, der nahelegte, Englisch sei schwerer zu lernen als Italienisch, Deutsch oder sogar Japanisch, weil die Wörter so anders ausgesprochen werden, als sie geschrieben werden . I am shore/sure you know/no what I mean. Die Wissenschaftler behaupteten, dass Englische belege gleich zwei Gehirnhälften mit Beschlag anstatt nur eine wie beim Italienischen, wo man die Wörter ausspricht, wie sie geschrieben werden. »Würden Sie das netterweise mitberücksichtigen, wenn Sie meine nächste Prüfung benoten?«, bat Francesca derart liebenswert, dass ich ernsthaft darüber nachdachte.
    Francesca war meine Lieblingsschülerin, weil sie ihren Dackel mit zum Unterricht brachte. Der zweisprachige Bruno saß geduldig neben dem Pult seines Frauchens und knurrte jeden an, der ihm seinen Platz streitig machen wollte. Nachdem ich der Klasse eine Frage gestellt hatte, pflegte ich im Klassenraum auf und ab zu laufen und nach Antworten zu suchen, bis ich schließlich zu Bruno kam, der mich aufgeweckt ansah und mir seine rosa Zunge herausstreckte. Er schien die Kurse zu genießen und nahm regelmäßiger daran teil als viele meiner zweibeinigen Schüler. Francescas Prüfungsergebnisse waren stets besser als ihre Leistungen während des Kurses, und zwar in einem solchen Ausmaß, dass ich sie aus Versehen beleidigte und fragte, ob sie die Innenseiten von Brunos Ohren wohl als Spickzettel benutze.
    Francescas größtes Problem mit dem Englischen war auch das vieler Klassenkameraden: die Aussprache. Das Englische erforderte, dass sie Dinge mit ihrer Zunge tat, die sie einfach nicht über sich brachte, zum Beispiel das Wort » the « auszusprechen. Der bestimmte Artikel brachte ihre Zunge an die Schneidezähne, ein Ort, bis zu dem es die Italiener nie schaffen und der sich deshalb ungewohnt scharfkantig anfühlt. Italiener haben große Schwierigkeiten mit dem » th «. Ein Kind brach wegen des Unterrichts sogar in Tränen aus, weil es Angst hatte, sich die Zunge abzubeißen. Francesca wagte es erst, das » th « auszusprechen, nachdem ich es ihr ein Dutzend Mal vorgesagt hatte und ihr bewies, dass meine Zunge anschließend immer noch intakt war. Sie bekam es dann doch noch hin, aber erst nachdem sie die Spuckepfützen mehrerer vergeblicher Versuche wieder aufgewischt hatte. Nur Tiziana schaffte es auf Anhieb, aber ihre Zunge war an so einige Herausforderungen gewohnt.
    Ich erfuhr oft mehr über meine Schüler, wenn ich sie auf Englisch unterrichtete, als wenn ich Italienisch mit ihnen sprach. So auch, als ich ihnen das Hilfsverb sollen erklärte. Das Lehrbuch gab mir ein paar theoretische Beispiele an die Hand, die ich der Klasse vortrug wie bei einem Quiz.
    »Sie haben an einer roten Ampel gehalten, aber es kommt niemand. Sollten Sie fahren, oder sollten Sie nicht fahren?«
    » Sie sollten nicht fahren!«, erwiderte die Klasse im Chor.
    Ich fand es ermutigend, dass sie die Regeln, die sie ständig übertraten, wenigstens kannten.
    »Sie sind am Flughafen und wollen rauchen. Es gibt nirgendwo ein Schild, auf dem ›Rauchen verboten‹ steht, aber der Flughafen ist ein öffentlicher Ort. Sollten Sie rauchen, oder sollten Sie nicht rauchen?«
    Diesmal wurde ihre richtige Antwort von einem Mann zunichtegemacht, der sagte: »Sie sollten . Selbst wenn da ein Schild hängt – Sie sollten .«
    Derselbe unverbesserliche Sturkopf hatte auch Schwierigkeiten mit sollen und müssen . Nach mehreren Beispielen aus dem Lehrbuch sah er mich immer noch begriffsstutzig an, also dachte ich mir weitere Beispiele aus, bis der Groschen endlich fiel.
    »Ah, so was wie Steuern«, sagte er und

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