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Siesta italiana: Meine neue italienische Familie

Siesta italiana: Meine neue italienische Familie

Titel: Siesta italiana: Meine neue italienische Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Harrison
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eine für fünfundzwanzig Euro verschaffen kann.«
    Claudio drängte mich, die billigere Option zu wählen.
    »Und wo würde ich sitzen?«
    »Äh, du würdest überhaupt nicht sitzen«, erwiderte er widerwillig. »Du stehst in einem der Treppenhäuser, und wenn die Polizei kommt, gehst du einfach in einen anderen Teil des Stadions.«
    »Das klingt mir eher nach einer Eintrittskarte ins Gefängnis, Claudio.«
    »Nein, nein, keine Sorge. Wir machen das immer so.«
    »Warum hat dein anderer Freund dann Karten, die hundertfünfzig Euro kosten?«
    Nur Shakespeare konnte Claudio schneller zum Schweigen bringen.
    Eine ebenso abwegige Freundschaft knüpfte ich zu einem Mann namens Raffaele, dem ich donnerstags Englisch beibrachte und mit dem ich sonntags Tennis spielte – vorausgesetzt, er war da nicht gerade im Fußballstadion. Raffaele war ein Mitglied der ultras , jener fanatischen Fans, die dadurch nerven, dass sie Leuchtraketen zünden und Obst, Münzen, Flaschen und alles andere, was nicht niet- und nagelfest ist, in die Arena werfen. Die ultras von San Siro schmuggelten sogar einmal ein Motorrad ins Stadion, steckten es in Brand und warfen es von den obersten Tribünenrängen auf die Zuschauer darunter. Die einzige Entschuldigung der rotgesichtigen Wachleute muss die gewesen sein, dass die criminali das Motorrad in Einzelteilen ins Stadion geschmuggelt und erst dort zusammengebaut hätten.
    Der außerhalb des Stadions äußerst umgängliche Raffaele machte von Anfang an klar, dass ihn sein Chef zum Unterricht schicke und er hier lieber auf Italienisch über Fußball reden würde. Einmal war er ganz aufgeregt, als er hörte, dass wir zum selben Spiel gehen würden, einem Champions-League-Spiel zwischen Chelsea und seinem heiß geliebten Milan. Am Abend nach dem Spiel erschien Raffaele mit einer Frage auf den Lippen, die ausnahmsweise mal das Englische betraf. Es gibt für alles ein erstes Mal. »Was haben die englischen Fans den ganzen Abend gerufen?« Als mir schließlich eine gelungene Übersetzung für »verfickte Spaghettifresserfotzen« eingefallen war, war sogar der Raufbold Raffaele schockiert. »La Madonna !«, rief er aus. »Nicht mal wir sind so schlimm!«
    Beim Einzelunterricht schließt man besonders schnell Freundschaften. Weil die Schule um die Intimität solcher Kurse wusste, hatten alle Klassenzimmer Glastüren. Bei ihrer ersten Stunde brachen die meisten Schüler das Eis, indem sie mit Essen ankamen. Natürlich nicht wirklich, sondern sie fragten mich, was mein italienisches Lieblingsgericht sei. Eine Schülerin bot mir sogar an, es für mich zu kochen. Tiziana war eine kokette Brünette mit straffen, stolzen Brüsten, die sie auch im Winter offenherzig zur Schau stellte. Sie war größer als die meisten männlichen Schüler und trug ihre Pin-up-Maße mit einem unerschütterlichen Selbstbewusstsein zur Schau. Wenn ich Interesse gehabt hätte, etwas anderes als Verben mit ihr zu konjugieren, wäre ich viel zu eingeschüchtert gewesen, um den ersten Schritt zu machen. Schön und verführerisch wie sie war, hatte sie viel zu viele Verabredungen, um je Zeit zum Lernen zu finden. Ich kann mich an keine Stunde erinnern, in der sie keinen Anruf von irgendeiner Modeboutique bekam, die ihr mitteilte, dass ihre Bestellung eingetroffen sei, oder in der nicht Friseur- und Schönheitssalontermine bestätigt oder verschoben wurden.
    Zwei Tage vor ihrer Abschlussprüfung löcherte mich Tiziana nach den Antworten. Dabei ließ sie keinen Zweifel daran, dass ich – falls ich Interesse daran hätte zu erkunden, wo ihre falsche Bräune aufhörte – es bestimmt nicht bereuen würde. Als ich höflich ablehnte, begriff sie, dass sie durchfallen würde, und kam erst gar nicht zur Prüfung. Sie hatte den Kurs nur belegt, um sich auf die Aufnahmeprüfung der Alitalia vorzubereiten, die sie jetzt wahrscheinlich ebenfalls ausfallen ließ. Aber einen Monat später schaute sie kurz in der Schule vorbei, um mir zu sagen, dass sie bestanden habe und beim Check-in arbeite. Um das zu feiern, trank ich mit ihr ein unschuldiges Glas Champagner in der Bar auf der gegenüberliegenden Straßenseite und bemühte mich, den feierlichen Moment nicht durch die Frage zu ruinieren, wo sie denn die dort erforderlichen Antworten gefunden hatte.
    Claudia aus Sizilien war weitaus weniger direkt als Tiziana, zog Sex dem Lernen allerdings ebenfalls deutlich vor. Obwohl Lehrer eigentlich keine Übersetzungen machen dürfen, fiel es mir schwer, ihre

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