Siesta italiana: Meine neue italienische Familie
strahlte.
»Wie bitte?«
»Wir sollten sie zahlen.«
Wieder einmal erklärte ich widerwillig eine falsche Antwort für richtig.
Im Lehrerzimmer war es genauso lustig wie im Klassenzimmer. Meine Kollegen waren eine wilde Mischung, von denen die meisten aus England stammten und sich entweder in Italien oder in Italiener verliebt hatten. Sie waren genauso zufällig zum Unterrichten gekommen wie ich.
Egal, wie lange sie bereits in Italien lebten oder wie fließend sie Italienisch sprachen – einen Winkel ihrer Seele konnte Italien niemals so sehr zufriedenstellen, wie es ein Abend im Pub mit anderen Heimatlosen vermag. Außer Danny waren wir ziemlich glückliche Schiffbrüchige.
Wenn bis zum Mittwoch niemand aus unserem Team den Freitagabend erwähnt hatte, tauchte Danny auf, um uns daran zu erinnern. Er war stets der Erste im Pub und reservierte uns einen Tisch, unter dem er regelmäßig lag, wenn wir schließlich auftauchten. Aber Danny brauchte keine Gesellschaft. Seine interessantesten Gespräche waren jene, die er nach mehreren Pints mit sich selbst führte. Ich fand es unterhaltsam, mich zurückzulehnen und ihm zuzuhören, wie er sich darüber erging, warum das Hotel auf der anderen Straßenseite einen seiner zwei Sterne verloren hatte. Klebestreifen verdeckten den zweiten Stern auf einem Schild an der Wand eines heruntergekommenen Gebäudes, das Danny beschrieb wie folgt: »Uralt, aber sauber und mit das Ehrlichste, was ich in zehn Jahren jemals in Italien gesehen habe.«
Aus Angst, sein ungebremster Hass auf Italien könne mir meinen Aufenthalt verleiden, hatte ich erst versucht, Danny auf Abstand zu halten. Aber unsere Angst vor dem Verkehr verband uns, und er sah in mir so etwas wie einen Vertrauten.
Wenn also kurz nach elf Uhr abends das Telefon klingelte, konnte es nur Danny sein. Ich ging dran, doch statt seines dröhnenden Organs hörte ich nur ein ungewohnt schwaches Stimmchen.
»Was ist los, Kumpel?«, fragte ich. »Hat der Guinness-Effekt wieder nachgelassen?«
»Es ist noch viel schlimmer. Ich habe eine Nonne überfahren. Triff mich im Pub, bitte, tu mir den Gefallen!«
Danny hatte die Ordensschwester mit seinem Citroën flachgelegt. Zum Glück hatte sie nur ein paar blaue Flecken davongetragen. Er dagegen war ein nervliches Wrack und brauchte drei Pints, um sich wieder zu beruhigen. Als er sich endlich entspannte, lehnte er sich in seinem Stuhl zurück und verkündete: »Gott sei dank war sie eine Nonne. Jeder andere hätte mich angezeigt, anstatt mich zu segnen.« Ich hatte meine Aufgabe erfüllt. Er war wieder unverkennbar er selbst.
Wenn Danny wollte, dass ich trank, dann wollte David, dass ich spielte. Der Ire in mittleren Jahren, der zum ersten Mal als Teenager nach Italien gekommen war, um den Rasen eines Klosters in Rom zu mähen, war inzwischen verheiratet und nach Mailand gezogen. Seitdem unterrichtete und spielte er. Was mich an Davids Sucht störte, war weniger das Geld, das er verprasste, als vielmehr die obskuren Dinge, auf die er wettete. Wenn ich zur Arbeit kam und einen Pflaumenkuchen in meinem Eingangskörbchen vorfand, hatte Davids Mannschaft in der dritten sibirischen Liga gewonnen.
Er wohnte über einem Wettbüro, das von einem Kroaten geführt wurde, der ihm sichere Wetten auf ungarische Ringkämpfe, belgisches Wasserpolo, ja sogar auf den Eurovision Song Contest anbot. Ich weigerte mich, auf ausländische Aktivitäten zu setzen, spielte aber jede Woche mit ihm Totocalcio – bei dem man die Ergebnisse der italienischen Fußballspiele erraten muss, Totogol – bei dem man raten muss, welcher Verein wie viele Tore schießt, – und Totosei – eine weitere Form von Fußballtoto, die ich nur spielte, um David einen Gefallen zu tun, die ich aber bis heute nicht begriffen habe. Da wir niemals etwas gewannen, glaube ich fast, dass es ihm diesbezüglich ganz genauso ging.
Die Eigentümerin der Schule, Rachael, lebte seit zwanzig Jahren in Italien und sprach fließend Italienisch mit einem Yorkshire-Akzent. Die exzentrische Frau hatte ebenfalls einen Italiener geheiratet, war aber sehr glücklich damit. Anders als Danny, der stets damit drohte, wieder nach England zu ziehen, war Rachael fest davon überzeugt, nie länger als für einen Sommerurlaub nach England zurückkehren zu können. Ob das an ihrer Liebe zu Italien oder den Unmengen von Geld lag, die ihre Englischschule einbrachte, weiß ich nicht. Wie viele Ausländer, die sich entschieden haben, in Italien zu leben,
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