Siggi Baumeister 19 - Mond über der Eifel
haben, deutlich zu sehen an einer weißen Hautstelle. Aber die Uhr fehlt.«
»Irgendeine Erklärung im Sinn?«
»Keine«, sagte ich. »Haben Sie ein Stück Papier? Und können Sie vier Schnipsel davon unter die Beine der Leiter da legen?«
Plötzlich strahlte er. »Das ist aber gut gedacht.«
»Na ja, auch ein blindes Huhn …« Dann kletterte ich auf meiner Leiter runter, und Major stellte die Leiter einige Zentimeter weiter. »Haben Sie irgendein Maßband?«
»Habe ich. Dann wollen wir mal.« Mit erstaunlicher Behändigkeit glitt er auf den Boden und maß die Eindrücke der Leiterholmen anhand der Papierschnipsel. »Wir haben eine Breite von 1,10 Meter bei einer Entfernung von 1,30 Meter.«
»Dann wollen wir mal ganz vorsichtig suchen«, sagte ich und ließ mich auch auf die Knie nieder.
Es war nicht schwierig und dauerte nicht länger als zwei, drei Minuten. Die Leiter hatte leicht seitlich versetzt unter dem Körper über uns gestanden, Irrtum ausgeschlossen. Ich fotografierte die Eindrücke, und er legte sein Metermaß daneben, um einen Vergleich zu haben.
»Was brauchen Sie jetzt noch?«
»Die Eichen insgesamt, also als Gruppe. Dann ein paar Übersichten vom Haus, und von dem kleinen Häuschen da hinten. Wie viele haben Sie bisher?«
»Ich denke, etwa zweihundert von dem Toten und dem Ast und dem Baumstamm.«
»Das wird reichen.«
»Ich gebe Ihnen hinterher den Chip, dann haben Sie alles geschlossen beisammen.«
»Und Sie selbst?« Er war sehr erstaunt. »Ich denke, Sie machen die Entwicklung der Bilder.«
»Aber wir werden bestimmt von Kischkewitz bedient. Das hat sich so eingespielt. Wenn ich fotografiere, gibt er die Bilder an, die er freigibt.«
»Eine merkwürdige Konstellation«, stellte er lächelnd fest.
»Das sagen wir auch immer.«
»Ist es denn vorgekommen, dass Sie beruflich benachteiligt waren bei diesen seltsamen Deals?«
»Ja, einmal. Da wurde ein Foto von mir für eine Fahndung im Fernsehen gebracht. Normalerweise hätte das bezahlt werden müssen, aber da niemand das wusste, hat das niemanden geärgert.«
»Und wie passt dieser Rodenstock da rein?«
»Locker, ganz locker. Er hat halt sehr viele Erfahrungen, und er hilft, wo er kann. Und der Rest ist ein Netzwerk in der Eifel. Ich habe eben übrigens mit Griseldis telefoniert. Das ist eine hiesige Hexe. Sie hält Selbstmord bei Stern für ausgeschlossen.«
»Haben Sie die Adresse?«
»Natürlich. Dann gehe ich mal weiter fotografieren. Ach so, eine Frage noch: Liegt da oben bei unserm Freund noch Totenstarre vor?«
»Nein, keine mehr festgestellt. Er dürfte also mindestens zwölf bis sechzehn Stunden tot sein. Und die direkte Sonneneinstrahlung nicht vergessen. Es war verdammt warm in diesem Baum. Und noch etwas, das wir nicht vergessen dürfen. Es kommt darauf an, ob er unmittelbar nach seinem Tod auf den Baum gebracht wurde, oder erst, als er schon seit Stunden tot war. Da werden uns die Leichenflecken helfen, aber möglicherweise werden sie uns auch verwirren, weil wir nicht rekonstruieren können, wo er vorher lag. Ich bin jedenfalls leicht zu finden, wenn Sie fertig sind.«
Ich ging langsam zum Gehöft und umrundete es. Ich fotografierte den Garten, der ganz im Stil eines alten Bauerngartens gestaltet war: Sehr viele Blumen und blühende Sträucher, sehr viele Beete mit verschiedenen Gemüsesorten, und das alles liebevoll gepflegt. Und eine ganze Reihe von hohen Sonnenblumen in voller Blüte, die richtig angeberisch über dem Ganzen thronten. Hatte Jakob Stern das gemacht, war er ein liebevoller Gärtner gewesen? Er war ein Schamane, wie er selbst behauptete, warum also nicht auch Gärtner?
Das Gebäude der Stallungen, das im rechten Winkel zum Haupthaus gebaut war, bot eine Überraschung. Es war besenrein sauber und wirkte bis unters offene Dach riesig. Und es beherbergte zwei Traktoren, die beide uralt, aber höchst gepflegt wirkten. Ein Lanz, ein International. Und davor ein feuerwehrroter Triumph TR 6, nicht mehr zu bezahlen, kaum abschätzbar, vielleicht dreißig Jahre alt. Was machte ein Schamane mit so einem Gefährt? Fuhr er Liebschaften spazieren? Was war dieser Jakob Stern für ein Mensch gewesen?
Dann traf ich Rodenstock, der mit einem Notizblock ganz in sich versunken vor dem Haus stand und etwas aufschrieb. »Wie steht es bei dir?«, fragte er.
»Ganz gut. Du solltest dir den Toten ansehen. Nebulöse Geschichte. Und noch etwas, ich gebe den Chip aus der Nikon weiter. Dann muss uns aber Kischkewitz
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