Siggi Baumeister 19 - Mond über der Eifel
Dann gesellten sie sich zu mir und rauchten sehr heimlich jeder eine Zigarette, indem sie sie auf die uralte Art in der hohlen Hand hielten - ein Verfahren, mit dem ich schon als Vierzehnjähriger hinter den Stachelbeersträuchern gehockt hatte.
»Wir sind eine verfolgte Minderheit«, sagte ich zur Einleitung, um die Situation aufzulockern. »Aber bald können Sie heim, die aus Aachen packen schon ihre Sachen.«
»Das wird auch Zeit«, nickte der Jüngere. »Wir sind noch von der Nachtschicht übrig geblieben.«
»Das ist hart«, sagte der Altere, etwas Fülligere.
»Wissen Sie etwas über Jakob Stern?«, fragte ich.
»Man sah ihn öfter in seiner roten Karre rumkurven, aber wirklich zu tun hatten wir mit dem nicht. Er war wohl beliebt, er grüßte Hinz und Kunz. Da fragt man sich schon, wie der auf den Baum kommt.«
»Haben Sie denn gehört, dass der ein indianischer Schamane war?«
»Ja, klar. So etwas hörte man, aber was da ablief, wissen wir ja nicht. Das war schließlich nichts Ungesetzliches.«
»Aber ich denke, ihr habt hier in der Gegend doch unheimlich viele Hexen und Wahrsager und Lebensberater und so.«
»Das stimmt«, bestätigte der Altere. »Aber vielleicht hat das ja mit den vielen Touristen zu tun. Nationalpark Eifel und so.
Außerdem ist es ja so, dass viele Leute hier gerne wohnen. Wir sind eben beliebt. Und wer das mit dem Job hinkriegt, der baut hier oder mietet was.«
»Richtig, da könnte ein Zusammenhang bestehen. Was ist eigentlich mit diesem Häuschen hier? Gehörte das auch dem Jakob Stern?«, fragte ich.
»Ja, das gehört ihm wohl auch. Aber gewohnt hat er nie drin. Manchmal hat er seinem Bruder erlaubt, hier zu schlafen und so. Aber nicht immer. Und der Bruder ist einwandfrei ein Arsch. Also, das denke ich persönlich.«
»Wieso ein Arsch?«
»Na ja«, erklärte der Jüngere, »ein absoluter Loser. Und manchmal auch ein Penner. Und manchmal säuft er wie ein Loch und lungert auf den Straßen rum und haut wildfremde Leute an. Er fragt immer: >Hast du mal einen Sozialbeitrag für eine arme Sau?< Die meisten geben ihm dann einen Euro. Also, die beiden waren wie Feuer und Wasser, einen größeren Unterschied kann man sich gar nicht vorstellen. Und manchmal, wenn es zu dicke kam, mussten wir ihn eine Nacht einlochen, aber wirklich gefährlich, also das war er nie. Und außerdem hatte Jakob ja eine Abmachung mit dem Sozialamt. Die sorgen für Franz, weil sie zuständig sind. Aber der Deal war so, dass das Sozialamt den Franz unterstützt, und dass Jakob das dann beim Sozialamt privat bezahlt.«
»Das ist ja ein unglaublicher Deal. Und warum das Ganze?«, sagte ich.
»Weil Jakob der Meinung war, dass seine Familie nicht auf Vater Staat angewiesen ist. Grundsätzlich nicht. Also hat er bezahlt. Cash. Ja, ja, heute sind die Behörden richtig anschmiegsam. Müssen wir auch sein, sonst werden wir eingemacht.«
»Wie alt ist denn dieser Franz?«
»Vierzig«, sagte der Altere, »also drei Jahre jünger als Jakob. Aber mit dem war noch nie was los, immer auf Trebe und immer besoffen.«
»Da habe ich eine Frage zu diesem Tal hier. Ich nehme mal an, das Gehöft und dieses Häuschen hier gab es schon immer. Das hier ist Teil des Nationalpark Eifel, man sieht auch keinen einzigen Zaun, nur Wiesen und den Bach, die Sauer …«
»Der Sauerbach, heißt das«, korrigierte mich der Jüngere.
»Also gut, der Sauerbach. Aber irgendjemand muss doch hier mähen, Heu machen und solche Sachen.«
»Das macht mein Vater«, sagte der Jüngere. »Er hat den Grund und Boden bei Jakob gepachtet, schon seit Jahren. Und wir nehmen das Gras als Futter und als Silage.«
»Wieso denn gar keine Zäune und gar kein Vieh?«
»Das war ziemlich schwierig, als es um den Nationalpark ging. Eigentlich war das Tal ohne das Gehöft vorgesehen, weil vor ein paar Jahren der Jakob sein Elternhaus verkaufen wollte. Da war mal die Rede, dass er in die Staaten gehen würde. Aber was da dran ist, weiß ich nicht. Jedenfalls ist es dann so gekommen, dass Jakob das ganze Tal für den Nationalpark freigegeben hat und durchsetzen konnte, dass er hier wohnt, weil eigentlich das Bauernhaus und das kleine Häuschen hier unter Denkmalschutz gestellt waren. Und die Bedingung war, dass Jakob außer seinem Gemüsegarten nichts mehr macht, und mein Vater solange Heu macht und Frischfutter, wie er kann. Was danach kommt, weiß noch kein Mensch, vielleicht lässt man die ganze Fläche verwildern und versteppen und den Sauerbach frei
Weitere Kostenlose Bücher