Sigma Force 01 - Sandsturm
über geheime Städte, mysteriöse Mächte und uralte Abstammungen bedeutete ihr rein gar nichts. Ihre Augen starrten die Überreste ihres Vaters an, den in einem Schmerzensschrei erstarrten Mund.
Ein Satz der hodja hatte sich in ihrem Kopf festgesetzt.
Er suchte Ubar, wie seine Tochter.
Kara erinnerte sich an den Tag, als ihr Vater starb, die Jagd an ihrem sechzehnten Geburtstag. Sie hatte sich immer gefragt, warum es gerade dieser abgelegene Teil der Wüste hatte sein müssen. Gute Jagdgründe hätte es auch viel näher an Maskat gegeben, warum dann zum Luftwaffenstützpunkt Thumrait fliegen, im Rover weiterfahren und dann auf Sand-Bikes die Jagd aufnehmen? Hatte er ihren Geburtstag nur als Ausrede für eine Exkursion in diese Gegend benutzt?
Wut machte sich in ihr breit, und sie strahlte aus ihr heraus wie die Flammen, die hinter dem Glasquader loderten. Aber sie hatte kein Ziel. Sie war wütend auf diese Frauen, die dieses Geheimnis so lange für sich behalten hatten, auf ihren Vater, weil er sein Leben um einer so tödlichen Suche willen weggeworfen hatte, auf sich selbst, weil sie in seine Fußstapfen getreten war … sogar auf Safia, weil sie sie nie davon abgehalten hatte, obwohl diese Suche sie von innen her zerstörte. Im Feuer ihres Zorns verbrannten die Reste ihrer Übelkeit.
Kara richtete sich auf und wandte sich der alten hodja zu. Sie unterbrach ihre Geschichtsstunde mit Safia und fragte mit bitterer Stimme: »Warum hat mein Vater nach Ubar gesucht?«
»Kara …«, entgegnete Safia mit versöhnlicher Stimme. »Ich glaube, das kann warten.«
»Nein.« Die Wut machte ihre Stimme herrisch. »Ich will es jetzt wissen.«
Die hodja blieb unbeeindruckt, sie neigte sich vor Karas Wut wie Schilf im Wind. »Du hast ein Recht, das zu fragen. Deshalb seid ihr ja beide hier.«
Kara machte ein verständnisloses Gesicht.
Die Frau schaute zwischen Kara und Safia hin und her. »Was die Wüste nimmt, gibt sie auch wieder zurück.«
»Was soll das heißen?«, blaffte Kara.
Die hodja seufzte. »Die Wüste hat deinen Vater genommen.«
Sie deutete auf den grausigen Stein. »Aber sie hat dir eine Schwester gegeben.« Sie nickte in Safias Richtung.
»Safia war immer meine liebste Freundin.« Trotz ihres Zorns klang tiefe Zuneigung aus ihrer Stimme. Die Wahrheit und Tiefe ihrer Worte stachen ihr, als sie ausgesprochen waren, auf eine Weise ins Herz, wie sie es nie gedacht hätte. Sie versuchte, es zu verdrängen, aber ihre Nerven lagen bloß.
»Sie ist mehr als eine Freundin. Sie ist deine Schwester sowohl im Geist … wie auch im Fleisch.« Die hodja hob ihren Stab und deutete auf den Leichnam im Glas. »Dort liegt dein Vater … und auch Safias. «
Die hodja wandte sich wieder den beiden verblüfften Frauen zu.
»Ihr seid Schwestern.«
03:33
Safia begriff nicht, was die Frau sagte.
»Unmöglich«, sagte Kara. »Meine Mutter starb bei meiner Geburt.«
»Ihr habt denselben Vater, nicht dieselbe Mutter«, erklärte die hodja. »Safia ist die Tochter einer Frau unseres Stammes.«
Safia schüttelte den Kopf. Sie waren Halbschwestern. Der Frieden, den sie eben noch beim Aufwachen gespürt hatte, war vernichtet. Sie hatte nie etwas über ihre Mutter gewusst, außer dass sie bei einem Busunfall starb, als sie, Safia, vier Jahre alt war. Über ihren Vater war nichts bekannt. Auch in den vagen Erinnerungen an ihre Kindheit vor dem Waisenhaus – verschwommene Szenen, Gerüche, ein Flüstern im Ohr – tauchte nie eine männliche Gestalt, nie ein Vater auf. Alles, was ihr von ihrer Mutter geblieben war, war ihr Name – al-Maaz.
»Beruhigt euch – beide.« Die alte Frau hob die Hände, sodass jede auf eine Handfläche schaute. »Das ist ein Geschenk, kein Fluch.«
Ihre Worte besänftigten Safias wild hämmerndes Herz ein wenig, als würde eine Hand das Vibrieren einer Stimmgabel dämpfen. Dennoch konnte sie sich nicht überwinden, Kara anzuschauen, sie schämte sich zu sehr, so als würde ihre Anwesenheit irgendwie das Andenken an Lord Kensington beschmutzen. Safia dachte zurück an den Tag, als sie aus dem Waisenhaus geholt wurde, ein Tag voller Angst und Hoffnung. Reginald Kensington hatte ihr, einem Mischlingskind, vor allen anderen Mädchen den Vorzug gegeben, hatte sie mit zu sich nach Hause genommen und ihr ein eigenes Zimmer gegeben. Kara und Safia hatten sich sofort zueinander hingezogen gefühlt. Hatte sie, damals schon, eine geheime Verbindung, eine Vertrautheit des Blutes erkannt? Warum hatte Reginald
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