Sigma Force 01 - Sandsturm
Kensington ihnen nie erzählt, dass sie eigentlich Schwestern waren?
»Wenn ich das nur gewusst hätte …«, stöhnte Kara und streckte Safia die Arme entgegen.
Safia hob den Kopf. Sie sah keine Schuldzuweisung in den Augen ihrer Freundin, die Wut von eben war verraucht. Alles, was sie sah, war Erleichterung, Hoffnung und Liebe.
»Vielleicht haben wir es ja gewusst …«, murmelte Safia und sank ihrer Schwester in die Arme. »Vielleicht haben wir es tief im Innern immer gewusst.«
Tränen flossen. Von einem Augenblick auf den anderen waren sie nicht mehr nur Freundinnen, sie waren eine Familie.
Eine Weile lagen sie sich in den Armen, doch schließlich rissen Fragen sie wieder auseinander. Kara hielt Safias Hand in ihrer.
Dann sprach die hodja wieder. »Eure gemeinsame Geschichte geht zurück auf Lord Kensingtons Entdeckung der Statue am Grab von Nabi Imran. Sein bemerkenswerter Fund war für uns von großer Bedeutung. Die Statue stammte aus der Zeit der Gründung Ubars und war vergraben an einer Stätte, die eine Verbindung zu einer Frau der Wunder hatte.«
»Der Jungfrau Maria?«, fragte Safia.
Ein Nicken war die Antwort. »Da wir die Wächterinnen waren, musste eine von uns zu dieser Statue, um sie zu untersuchen. Es hieß, die Schlüssel zu den Toren Ubars würden sich zeigen, wenn die Zeit reif dazu wäre. Also wurde Almaaz ausgeschickt.«
»Al-Maaz«, sagte Safia, der die leicht veränderte Aussprache auffiel.
» Almaaz «, wiederholte die hodja bestimmt.
Kara drückte Safia die Hand. »Alle Frauen hier haben Juwelennamen. Die hodja heißt Lu’lu. Perle.«
Safia riss erstaunt die Augen auf. » Almaaz. Meine Mutter hieß Diamant. Im Waisenhaus dachte man, ihr Familienname sei al-Maaz. Was ist mit ihr geschehen?«
Die hodja schüttelte resigniert den Kopf. »Wie viele von unseren Frauen hat deine Mutter sich verliebt. Bei ihren Ermittlungen in Bezug auf die Statue kam sie Lord Kensington zu nahe … und er ihr. Nach ein paar Monaten wuchs ein Kind in ihrem Schoß, gezeugt auf die natürliche Art aller Frauen.«
Safia wunderte sich über die merkwürdige Wortwahl, unterbrach sie aber nicht.
»Die Schwangerschaft versetzte deine Mutter in Panik. Uns ist es verboten, ein Kind zu tragen, das von einem Mann gezeugt wurde. Sie verließ Lord Kensington. Und kehrte zu uns zurück. Wir kümmerten uns bis zur Geburt um sie. Aber nachdem du geboren warst, musste sie gehen. Almaaz hatte unser Gesetz gebrochen. Und du, ein Kind vermischten Blutes, warst keine reine Rahim.« Die alte Frau berührte ihre Tränentätowierung, das rubinrote Symbol ihres Stammes. Safia hatte keine Tätowierung. »Deine Mutter hat dich in Khaluf an der omanischen Küste, nicht weit von Maskat entfernt, aufgezogen, so gut sie eben konnte. Aber der Unfall hat aus dir eine Waise gemacht.
In dieser ganzen Zeit hat Lord Kensington die Suche nach deiner Mutter nie aufgegeben … und nach dem Kind von ihm, das sie vermutlich trug. Ganz Oman suchte er ab, gab ein Vermögen dafür aus, aber wenn eine von uns nicht gefunden werden will, bleibt sie unsichtbar. Das Blut von Biliqis hat uns in vielerlei Hinsicht gesegnet.«
Die alte Frau schaute auf ihren Stab hinunter. »Als wir erfuhren, dass du zur Waise geworden warst, konnten wir dich nicht im Stich lassen. Wir fanden heraus, wohin man dich gebracht hatte, und gaben diese Information an Lord Kensington weiter. Es brach ihm das Herz, als er von Almaaz’ Schicksal erfuhr, aber was die Wüste nimmt, gibt sie auch wieder zurück. Sie gab ihm eine Tochter zurück. Er holte dich und nahm dich in seine Familie auf. Ich vermute, er hatte vor, euch erst dann von eurer gemeinsamen Herkunft zu erzählen, wenn ihr alt genug wärt, um es zu verstehen.«
Kara bewegte sich. »Am Morgen der Jagd … sagte mein Vater zu mir, er müsse mir etwas Wichtiges erzählen. Jetzt, mit sechzehn, sei ich alt genug, es zu verstehen.« Sie schluckte schwer, und ihre Stimme klang brüchig, »Ich dachte, es geht irgendwie um Schule oder Universität. Nicht … nicht …«
Safia drückte ihr die Hand. »Schon gut. Jetzt wissen wir es ja.«
Kara hob den Kopf, und ihr Blick war voller Verwirrung. »Aber warum hat er weiter nach Ubar gesucht? Ich verstehe das nicht.«
Die hodja seufzte. »Das ist einer der Gründe, warum uns Männer verboten sind. Vielleicht war es ein Bettgeflüster. Ein Stück Geschichte, das zwei Liebende sich teilten. Auf jeden Fall erfuhr dein Vater von Ubar. Er suchte die versunkene Stadt, aber
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