Sigma Force 01 - Sandsturm
kleine Öffnung zu erkennen war. Sie öffnete die Hände. Ein sanftes Summen umschwirrte Safias Kopf. Aus dem Loch kam nun eine kleine, blinde Wühlmaus mit zuckenden Schnurrhaaren. Sie kletterte, zahm wie ein Kätzchen, auf Lu’lus Hand. Die hodja streichelte sie kurz mit einem Finger und ließ sie dann wieder gehen. Überrascht, wieder frei zu sein, rannte das Mäuschen in sein Loch zurück.
»Solch einfache Kreaturen sind leicht zu beeinflussen.« Lu’lu nickte Kara zu, während sie weitergingen. »Wie solche, die von Drogenmissbrauch geschwächt sind.«
Kara wandte den Blick ab.
»Dennoch haben wir wenig Kontrolle über den wachen Verstand eines Menschen. Wir schaffen es höchstens, seine Wahrnehmung zu vernebeln und zu dämpfen, wenn wir in seiner Nähe sind. Unsere Anwesenheit für kurze Zeit vor ihm zu verstecken … und dann auch nur die unseres eigenen Körpers. Sogar Kleider sind kaum wegzuzaubern. Am besten schaffen wir es nackt und im Schatten.«
Kara und Safia schauten einander verblüfft an. Es war eine Art von Telepathie, Bewusstseinsveränderung.
Lu’lu strich ihren Umhang gerade. »Und natürlich kann man die Gabe auch auf einen selbst anwenden, eine Konzentration des Willens, die dann nach innen gerichtet ist. Das ist unsere größte Gabe, und sie sichert den Fortbestand unserer Linie, die bis zu Königin Biliqis zurückreicht, zu ihr, die unsere Erste und unsere Letzte war.«
Safia erinnerte sich an Geschichten über die Königin von Saba, Erzählungen, die überall in Arabien, Äthiopien und Israel zu finden waren. Viele protzten mit fantastischen Ausschmückungen: fliegende Teppiche, sprechende Vögel, sogar Teleportation. Und der wichtigste Mann in ihrem Leben, König Salomon, konnte angeblich mit den Tieren sprechen, wie die hodja es jetzt von den Rahim behauptete. Safia dachte an den Leoparden, der John Kane angegriffen hatte. Konnten diese Frauen wirklich solche Raubtiere beherrschen? War diese Fähigkeit der Ursprung all der wilderen Geschichten im Umkreis der Königin von Saba?
Kara brach das verblüffte Schweigen. »Was passiert, wenn ihr eure Gabe nach innen richtet?«
»Die größte aller Gnaden«, wiederholte Lu’lu mit wehmütigem Klang in ihrer Stimme. »In uns reift ein Kind heran. Ein Kind, gezeugt ohne Mann.«
Kara und Safia schauten sich ungläubig an.
»Eine Jungfernzeugung …«, flüsterte Kara.
Wie bei der Jungfrau Maria. Safia dachte über diese Enthüllung nach. Ist das der Grund, warum der erste Schlüssel, das eiserne Herz, beim Grabmal von Marias Vater versteckt war? Eine Art von Anerkennung. Von einer Jungfrau zur anderen.
Lu’lu fuhr fort: »Aber wenn wir ein Kind zur Welt bringen, ist das kein gewöhnliches Kind. Das Kind unseres Körpers ist unser Körper, neu geboren, um die Linie fortzusetzen.«
Safia schüttelte den Kopf. »Was soll das heißen?«
Lu’lu hob ihren Stab und deutete damit nach vorne und nach hinten, eine Geste, die den ganzen Stamm umfasste. »Wir alle sind dieselbe Frau. Um es mit modernen Begriffen zu sagen, wir sind genetisch identisch. Die größte Gnade von allen ist unsere Fähigkeit, unsere Linie rein zu halten, aus unserem eigenen Schoß heraus eine neue Generation zu produzieren.«
»Klone«, sagte Kara.
»Nein«, sagte Safia. Sie begriff, was die hodja da sagte. Es war ein Reproduktionsprozess, den man bei einigen Insekten und anderen Tieren fand, vorwiegend jedoch bei Bienen.
»Parthenogenese«, sagte Safia laut.
Kara machte ein verwirrtes Gesicht.
»Es ist eine Form der Fortpflanzung, bei der ein Weibchen ein Ei mit einem intakten Nukleus produziert, der exakt den genetischen Code dieses Weibchens enthält und der dann in ihr wächst und als neues Wesen geboren wird, als genetisches Duplikat seiner Mutter.«
Safia schaute den Tunnel in beiden Richtungen entlang. All diese Frauen …
Irgendwie gestattete ihre telepathische Gabe es ihnen, sich selbst zu reproduzieren, und zwar genetisch intakt. Asexuelle Reproduktion. Sie erinnerte sich an einen ihrer Biologieprofessoren in Oxford, der erwähnt hatte, dass die sexuelle Reproduktion für unsere Körper etwas eher Ungewöhnliches sei. Dass sich im Normalfall eine Zelle teile und so ein exaktes Duplikat ihrer selbst schaffe. Nur die Keimzellen in den Eierstöcken und den Hoden teilen sich so, dass Zellen entstehen, die nur noch die Hälfte des ursprünglichen genetischen Codes enthalten – Eier in Weibchen, Spermatozoen in Männchen – und so eine Vermischung
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