Sigma Force 02 - Feuermönche
zu scheren. Die meisten Zivilisten nahmen nur die Männer und Frauen wahr, die mit Gewehren bewaffnet Straßen und Gebäude bewachten. Sie aber war nicht als Militärsoldatin beigetreten, sondern mit einem Abschluss in Psychologie und Kunstgeschichte. Die Carabinieri hatten sie geradewegs von der Universität angeworben. Anschließend hatte sie an der Offiziersschule zwei Jahre lang internationales Recht studiert. General Rende, der die Tutela Patrimonio Culturale, die für Kunst- und Antiquitätenraub zuständige Spezialeinheit, leitete, hatte sie persönlich eingestellt.
Am Fuß der Treppe trat Rachel in eine Wasserlache. Bei den schweren Niederschlägen der letzten Tage war das Gewölbe überschwemmt worden. Verdrossen blickte sie auf ihre Füße. Das Wasser stand ihr bis zum Knöchel.
Die geborgten Gummistiefel waren ihr zu groß. In der Linken trug sie die neuen Pumps von Ferragamo, ein Geburtstagsgeschenk ihrer Mutter. Sie hatte sich nicht getraut, sie auf der Treppe abzustellen. Diebe waren überall. Wenn sie die Schuhe verlor oder ruinierte, würde ihr ihre Mutter in den Ohren liegen.
Professorin Giovanna hingegen trug einen zweckmäßigen Overall, der für die Erkundung überschwemmter Ruinen besser taugte als Rachels marineblaue Freizeithose und die geblümte Seidenbluse. Als Rachels Piepser sich vor einer Viertelstunde gemeldet hatte, war sie gerade auf dem Weg zum Mittagessen mit ihrer Mutter und ihrer Schwester gewesen. Da sie sich noch Hoffnung machte, die Verabredung einhalten zu können, hatte sie darauf verzichtet, sich zu Hause umzuziehen.
Stattdessen war sie gleich hierher gekommen und von zwei Carabinieri in Empfang genommen worden. Die Polizisten waren in der Kirche geblieben, während sie mit der Untersuchung des Diebstahls begonnen hatte.
In gewisser Weise war Rachel froh über den Aufschub. Sie hatte es versäumt, ihrer Mutter von ihrer Trennung von Gino zu erzählen. Ihr Freund war bereits vor einem Monat ausgezogen. Rachel konnte sich den enttäuschten Blick ihrer Mutter und die üblichen Missfallenslaute, die so viel besagten wie Ich hab ’ s doch gewusst , lebhaft vorstellen. Und ihre ältere Schwester, seit drei Jahren verheiratet, würde demonstrativ ihren diamantbesetzten Ehering am Finger drehen und viel sagend mit dem Kopf nicken.
Beide waren mit Rachels Berufswahl unzufrieden.
» Wie willst du so einen Ehemann halten, du Dummchen? «, hatte ihre Mutter getönt und die Arme gen Himmel gereckt . » Du lässt dein wunderschönes Haar so kurz schneiden. Du schläfst mit deiner Waffe. Damit kann ein Mann nicht mithalten. «
Seitdem fuhr Rachel nur noch selten von Rom ins ländliche Castel Gandolfo, wo sich ihre Familie nach dem Zweiten Weltkrieg in der Nähe der Sommerresidenz des Papstes niedergelassen hatte. Einzig und allein ihre Großmutter zeigte Verständnis für ihre Entscheidung. Beide interessierten sie sich für Antiquitäten und Waffen. In ihrer Jugend hatte Rachel begierig ihre Kriegserzählungen aufgesaugt, Schauergeschichten, gewürzt mit schwarzem Humor. Ihre nonna verwahrte sogar eine geölte und polierte Luger P-08 aus Nazibeständen im Nachttisch, die sie auf der Flucht einem Grenzsoldaten gestohlen hatte. Mit Hausarbeit hatte die alte Frau wenig im Sinn.
» Es ist gleich da vorn «, sagte die Professorin. Mit platschenden Schritten näherte sie sich einem erleuchteten Durchgang. » Meine Studenten halten am Ausgrabungsort Wache. «
Rachel folgte ihrer Führerin und trat geduckt durch die Öffnung. Im dahinter liegenden höhlenartigen Raum richtete sie sich wieder auf. Das Dachgewölbe, beleuchtet von Karbidlaternen und Taschenlampen, war aus behauenen Blöcken vulkanischer tufa erbaut und primitiv verputzt. Eine vo n M enschenhand erbaute Grotte. Offenbar ein römischer Tempel.
Als Rachel in den Raum hineinwatete, war sie sich des Gewichts der auf dem Gewölbe lastenden Kirche nur allzu deutlich bewusst. Im zwölften Jahrhundert dem heiligen Clement geweiht, war die Kirche über älteren Basiliken errichtet worden, die bis ins vierte Jahrhundert zurückdatierten. Diese alte Kirche aber barg ein noch tieferes Geheimnis: die Überreste eines römischen Hofs aus dem ersten Jahrhundert einschließlich dieses heidnischen Tempels. Es war nicht ungewöhnlich, dass eine Religion die andere unter sich begrub und sich die römische Geschichte schichtweise übereinander lagerte.
Rachel verspürte ein vertrautes Prickeln; das Gewicht der verstrichenen Zeit war ihr
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