Signum - Die verratenen Adler
zu gefährden, kochte die Wut in ihr hoch. Der Römer hatte recht gehabt: Jedem von ihnen machte der Krieg SpaÃ. Irmin hatte nicht widersprochen. Im Grunde waren sie alle gleich, ob Römer oder Cherusker. Krieg war für sie nichts anderes als ein spielerisches Kräftemessen, in das sie mit unbegreiflicher Selbstherrlichkeit ganze Völker hineinzogen. Sie hassten sich gar nicht. Die einen gaben vor die Zivilisation verbreiten zu wollen und bedienten sich barbarischer Methoden. Dieanderen gaben vor ihre Freiheit zu verteidigen und meinten damit doch nur ihre eigene Macht und Eitelkeit.
Fastrada ritt durch den dichten Wald nach Nordwesten. Sie fand ihren Weg trotz der Dunkelheit, indem sie sich an Lichtungen und Bachläufen orientierte, die sie von früheren Ausflügen kannte. Der Grauschimmel, den sie aus Irmins Stall gestohlen hatte, ging in beruhigender Monotonie durch die Nacht. Seine Muskeln walkten unter dem warmen Fell, und die Bewegungen pflanzten sich durch Fastradas Körper fort, als gäbe das Pferd einen Teil seiner Kraft an sie ab. Sie hatte in aller Eile eine Decke, etwas Proviant und einen Wasserschlauch zusammengerafft, in eine Satteltasche gestopft, das Kleid gegen eine Hose, eine Tunika und einen Umhang aus Wolle eingetauscht und das Dorf verlassen. Sie hoffte inständig, dass die Männer nicht eine ihrer Schwestern mitgenommen hatten. Sie sah Irmin vor sich, wie er wütend im Schein des heruntergebrannten Feuers neue Zweige sammelte, um die makabere Auslosung zu Ende zu bringen. Wahrscheinlich hatten sie längst ein paar Leute losgeschickt, um sie zu suchen. Konnte es sein, dass sie darauf kamen, wohin sie wollte?
Aus einem sanften Hügelkamm zu ihrer Rechten schälte sich eine immer steiler werdende Felskante heraus wie ein von einem Riesen achtlos an den Hang gesetzter Vorbau, umwuchert von Buschwerk und Unterholz. Sie erinnerte sich vage daran, dass in der Nähe eine Höhle war. Angestrengt spähte sie nach rechts und links. Irgendwann klaffte tatsächlich eine Aussparung im konturlosenGrau des Steins auf. Langsam ritt sie auf die Stelle zu, saà ab und zog das Pferd hinter sich her in das Versteck. Das gedämpfte Echo ihrer eigenen Schritte und das Knirschen der Hufe auf dem Geröll umfingen sie wie die Geräuschkulisse eines vertrauten Ortes. Die Anspannung fiel von ihr ab. Sie war so allein wie noch nie in ihrem Leben, aber es war besser, allein gegen den Rest der Welt anzutreten, als nicht zu wissen, auf wen man sich verlassen konnte. Sie rollte ihre Decke auf dem steinigen Boden aus, legte sich hin und schlief sofort ein.
Als sie aufwachte, wanderte der Tag in einem undurchsichtigen grauen Wolkenmantel heran, aus dem ein Schleier aus Nieselregen in die Baumkronen niederschwebte. Sie packte die Decke ein, führte das Pferd aus der Höhle und ritt weiter nach Westen, weil sie sich erinnerte, dass in dieser Richtung ein kleiner Bach verlief. Seine Quelle lag auf einem Höhenzug, den sie überqueren musste. Dahinter begann das Gebiet der Amsivarier, deren angebliche UnbotmäÃigkeit gegenüber Rom den Vorwand für den Umweg der drei Legionen geliefert hatte. Fastrada rechnete damit, dort auf den Weg zu stoÃen, den das Heer genommen hatte, das sich wie eine riesige Schnecke durch das Land schob. Mehr als zwanzigtausend Menschen, dazu Tausende von Pferden und Wagen mussten eine Spur hinterlassen, die noch nach Tagen und Wochen, wenn nicht gar nach Monaten zu sehen war. Sie stellte sich vor, wie sie das Ende des Zuges erreichte, um sich bei verständnislos dreinblickenden Trossleuten nach einem Caius CorneliusCastor durchzufragen. Würde sie dort sein, bevor der Angriff begann?
Irgendwann fand sie tatsächlich den Bach und folgte seinem Verlauf nach Norden. Sie kam nur langsam voran. Mehrmals musste sie in einem weiten Bogen Siedlungen umgehen. Einmal wurde sie von einer Gruppe von Reitern verfolgt, und als sie sie endlich abgeschüttelt hatte, setzte bereits die Dämmerung ein. Die Nacht verbrachte sie in einem Hünengrab, dessen gewaltiger Deckstein immerhin Schutz vor dem Regen bot.
Am nächsten Tag wurde es nicht besser. Immer öfter musste sie kleinen Gruppen von Bewaffneten ausweichen, die alle in die gleiche Richtung unterwegs waren wie sie. Die Schlinge zog unerbittlich zu. Ob sie es noch rechtzeitig schaffen würde? Als sie den Höhenzug erreichte, brach erneut die Nacht herein, und diesmal fand
Weitere Kostenlose Bücher