Signum - Die verratenen Adler
sie einen Unterschlupf in einem hölzernen Turm, der am höchsten Punkt der Hügelkette stand und von einem Graben umgeben war. Ein verlassener Beobachtungsturm der Römer.
Gegen Mittag des folgenden Tages stieà sie endlich auf die Spuren, nach denen sie so lange Ausschau gehalten hatte: eine Schneise im Wald, in der zahllose Furchen von Wagenrädern und Abdrücke von Pferdehufen zu sehen waren. Am Rand des Weges lagen gefällte Bäume und herausgerissenes Wurzelwerk. Regen sammelte sich in tiefen Pfützen. Es mussten Tausende von Hufen, Rädern und FüÃen gewesen sein, die den Pfad derart umgepflügt hatten. Kein Zweifel: Dies war die Schneckenspur des römischenHeeres. Wann waren sie hier vorbeigezogen? Vor ein paar Stunden? Gestern? Es war merkwürdig, sich vorzustellen, dass jeder dieser Hufabdrücke von einem Pferd stammen konnte, das Caius getragen hatte. Fastrada fühlte sich ihm plötzlich sehr nahe, gleichzeitig schauderte sie bei dem Gedanken, dass die Gefahr ihn schon fast erreicht haben musste wie ein Raubtier, das sich zwischen den Bäumen an sein Opfer angepirscht hatte und nun dazu übergegangen war, in groÃen Sätzen heranzujagen. Fastrada trieb ihr Pferd wieder an und folgte in leichtem Trab der Spur etwas abseits der Schneise.
Immer wieder musste sie weite Schleifen reiten, um nicht von den Männern entdeckt zu werden, deren Stimmen mal vor ihr, mal neben ihr durch den Wald echoten. Einmal fand sie auf einem bewaldeten Hügelkamm oberhalb der Schneise eine Feuerstelle unter einem mit Laub getarnten Bretterverschlag. Wahrscheinlich hatte hier ein Beobachtungsposten gesessen, um den Vorbeimarsch des Heeres zu melden. Sie stieg ab und hielt eine Hand über die Asche. Sie war noch warm.
Am Abend des dritten Tages verlieÃen Fastrada allmählich die Kräfte. Irgendwann tauchte abseits des Pfades auf halber Höhe einer kleinen Erhebung eine Hütte auf. Vorsichtig saà Fastrada ab, legte die Zügel des Pferdes um einen Ast und näherte sich dem kleinen Haus. Sie hatte Hunger, und ihr Proviant war so gut wie aufgebraucht. Wenn ich ganz viel Glück habe, dachte sie, finde ich dort ein paar Vorräte. Die Hütte hatte keine Fenster, nur einen schmalen,niedrigen Eingang. Sie war aus Balken, Brettern und Ãsten gezimmert, die Zwischenräume waren mit Moos abgedichtet. Fastrada spähte durch den Eingang, dann schlüpfte sie hinein. Drinnen war es ziemlich dunkel, und erst jetzt sah sie in einer Ecke eine Feuerstelle, in der es noch glühte. Jemand musste vor Kurzem hier gewesen sein. DrauÃen pladderte der Regen und sie spürte die feuchte Kälte auf einmal bis auf die Knochen.
»Sie suchen dich, Mädchen«, ertönte hinter ihr plötzlich eine alte, brüchige Männerstimme.
Fastradas Herz setzte einen Schlag aus. Sie wirbelte herum, wollte in einem ersten Reflex die Flucht ergreifen, hielt dann aber inne.
Ein gebückter Mann mit langen weiÃen Haaren und Bart stand in der Tür. »Du brauchst keine Angst zu haben«, sagte er freundlich. »Ich wäre schön dumm, wenn ich über meine Gäste herfallen würde. Ich bekomme eigentlich nie Besuch, gerade genug, um mich ab und zu daran zu erinnern, dass ich noch sprechen kann.«
Der Alte gab die Tür frei und trat in den Raum. Er trug einen braunen Kittel und eine graue Hose aus grobem Stoff, die viele Löcher hatte. Seine FüÃe steckten in abgewetzten Bundschuhen. Er bückte sich, griff nach ein paar dünnen Zweigen, warf sie auf die Glut und pustete, dass ein kleines Feuer aufloderte. Dann schichtete er dünne Ãste über die Zweige und legte einen gröÃeren Klotz darauf. Der warme Feuerschein wuchs an den Wänden entlang und erleuchtete schlieÃlich den ganzen Raum.
»Heute waren zwei cheruskische Krieger da«, sagte er. »Sie fragten nach einem Mädchen in deinem Alter. Ich konnte ihnen nicht weiterhelfen.« Er drehte sich um und lächelte spitzbübisch, wobei viele kleine Falten sein Gesicht überzogen. »Und wenn sie morgen wiederkommen, werde ich ihnen immer noch nicht weiterhelfen können.«
Fastrada erwartete, dass der Alte sie fragte, warum sie allein unterwegs war, aber er tat es nicht. Fast war es, als ob er bereits alles wüsste.
»Du musst Hunger haben«, sagte er. »Hol dein Pferd und bind es hinter der Hütte an. Heute Abend wird dich niemand mehr
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