Silberband 028 - Lemuria
Verschlußzustand. Das bedeutete, daß ihr Riesenkörper zu einem zehntausendfältig unterteilten
Wabengebilde geworden war. Schiffe dieser Art mit konventionellen Energiewaffen abzuschießen, war
so gut wie unmöglich. Die terranischen Konstrukteure waren Meister in der
Sicherheitsunterteilung.
Die Panoramagalerie leuchtete in grellen Farben. Big Blue schien sich im Gegensatz zu den
geltenden physikalischen Gesetzen innerhalb von wenigen Minuten aufgebläht zu haben.
Die ruhenden Mutanten waren aufgeschreckt. Der Mausbiber Gucky hatte sich aufgerichtet und
fuhr sich über die Augen.
Kasom und ich hatten die Zentrale durch die sogenannten Untertore betreten. So hatten wir etwa
fünfzig Meter zu rennen, bis wir zur weitgeschwungenen Kommandoempore kamen, auf der die
Generalschaltungen angeordnet waren.
In der gesamten Zentrale und in allen Nebenstationen herrschte ›Zustand‹, wie man im
terranischen Raumfahrerjargon sagte. Befehlserteilungen und Klarmeldungen jagten einander.
Ich hörte aus den Nachrichtenübermittlungen heraus, daß der Zusatzalarm nicht wegen des
plötzlich unruhig gewordenen Sternes gegeben worden war, sondern wegen einer Ortungsmeldung von
Major Sven Henderson, der mit den zehn Korvetten seiner Fünften Flottille längst das Mutterschiff
verlassen hatte und auf Abfangposition im freien Raum stand.
Er hatte einen Fremdkörper ausgemacht, den er nun laut Rhodans Befehl mit Vollschub und
feuerklaren Geschützen anflog.
Als ich die Kommandoempore erreichte, meldete sich der junge Offizier soeben zu einem linearen
Kurzmanöver ab.
»Genehmigt. Sehen Sie sich das Objekt an«, rief Rhodan in das Mikrophon. »Sehr groß kann es
nicht sein. Wahrscheinlich haben Sie einen Meteor ausgemacht.«
Die Spezialschirme der Energietaster leuchteten kurz auf. Die KC-41 war in den Linearraum
gegangen, um die dreieinhalb Lichtjahre bis zu dem georteten Objekt in wenigen Augenblicken
überwinden zu können.
Ich achtete kaum auf die restlichen Korvetten, deren Kommandanten Lageberichte gaben. Der
blaue Riesenstern interessierte mich viel mehr – und noch etwas!
Die CREST III umkreiste nach wie vor den erdähnlichen Planeten, dem wir noch immer keinen
Namen gegeben hatten.
Die nichtmenschlichen Mitglieder der Besatzung hatten sich ebenfalls eingefunden: Icho Tolot,
der Kosmische Ingenieur und Eigentümer der fliegenden Werft KA-preiswert, Kalak, und der
Energietransformer Baar Lun.
»Abdrehen, Administrator, drehen Sie ab!« rief Kalak erregt. »Ein Stern bläht sich nicht von
selbst auf, wenigstens nicht in fünf Minuten. Abdrehen!«
»Er ist achthundert Millionen Kilometer entfernt«, entgegnete Rhodan.
»Trotzdem«, forderte der schwarzhäutige Fremde, dessen feuerroter Bart in mustergültigem
Zopfgeflecht seinen Hals umschloß. »Ich traue der Sache nicht. Es sind geheimnisvolle
Hyperfunksprüche aufgefangen worden. Wenn Big Blue künstlich zur Nova gemacht wird, kommen wir
nicht mehr weg.«
Rhodan zögerte. Selbst Icho Tolot, der sonst so Unerschütterliche, war nervös.
Ich setzte mich in meinen Sessel und überprüfte die Katastrophenschaltung. Notfalls konnte ich
zusammen mit Rhodan und Cart Rudo das Riesenschiff in Manuellsteuerung fliegen.
Baar Lun, der Modul, sah wortlos auf die Bildschirme, die in diesem Augenblick ein so intensiv
violettes Leuchten ausstrahlten, daß ich aufstöhnend die Augen schloß.
Als ich wieder etwas sehen konnte, nahm die CREST III bereits Fahrt auf. Das Tosen der
Triebwerke war so übermächtig, daß meine Helmautomatik den Gehörschutz über die Ohren klappte und
die Sprechfunkverbindung einschaltete. Jetzt konnte ich all die aufgeregten Stimmen vernehmen,
die dem Oberbefehlshaber etwas mitzuteilen hatten.
Es war nicht mehr erforderlich! Rhodan hatte seinen brennenden Wunsch, Näheres über den
Planeten zu erfahren, endlich aufgegeben und den Rückzug angetreten.
Plötzlich gellte ein Schrei in meinen Kopfhörern auf. Ich brauchte nicht zu fragen, wer ihn
ausgestoßen hatte, oder warum er ausgestoßen worden war.
Big Blues Planet, die herrliche, erdähnliche Welt mit den hilferufenden Gefangenen, hatte sich
übergangslos in eine Gesteinswüste ohne jede Vegetation und Wasser verwandelt.
In diesem Augenblick prägte ein Terraner den Namen für diesen Planeten. Er nannte ihn
Vario.
Niemand fragte danach, wer auf diesen Einfall gekommen war, denn die Bezeichnung war so
zutreffend, daß wir sie widerspruchslos
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