Silberband 034 - Die Kristallagenten
gesehen. Ich
gebe das Bild auf Ihren Schirm. Na, wie wirkt das?«
Atlan hielt den Atem an. Auf dem großen Bildschirm, der von Hirns' Kameraden belichtet wurde,
erschien das Freihändlerschiff in voller Größe. Obwohl völlig intakt, glich es von außen
betrachtet einem Wrack.
Dies war Rois ›Defensivwaffe‹; nichts anderes als eine phantastische Bildprojektion, die den
gesamten Kugelrumpf erfaßte. Spezialgeräte, die in mühevoller Arbeit auf der Außenzelle eingebaut
worden waren, benutzten den spiegelnden Rumpf als gekrümmte Projektionsfläche. Die so erzeugten
Bilder waren wenigstens fünfzigfach variabel. Schäden aller Art, angefangen vom aufgerissenen
Düsenmaul eines Triebwerks bis zur durchlöcherten und brennenden Zelle, konnten mit erstaunlicher
Echtheit vorgetäuscht werden.
Roi hatte diesmal die Stufe 30 gewählt. Durch diese Bildprojektion mußte ein Beobachter den
Eindruck gewinnen, als hätte die FRANCIS DRAKE im Wirkungsfeuer von mehreren großen Schiffen
gelegen. Die Außenzelle war an etwa vierzig Stellen blasig aufgeworfen. Die an den Rändern
zerschmolzenen Einschußkrater zeugten von der Gewalt eines Überfalls mit Thermokanonen.
Teile des Maschinenringwulstes hingen in Fetzen von der Bordwand herab. Zwei der großen
Impulstriebwerke waren völlig offen. Sie glichen zerschmolzenen Schrotthaufen.
»Wenn das nicht wirkt!« sagte Atlan. »Danke, Mr. Hirns. Nun nehmen Sie aber Fahrt auf.
Wie wirkt die Tarnung auf hyperschnelle Taster und Echobilder?«
Ȇberhaupt nicht. Im Ortungsbild sind nur undeutliche Formen zu sehen. Die Taster stellen
allein den Körper fest. Die optische Normalortung zeigt allerdings eindeutig das Chaos.«
Hirns verabschiedete sich. Die acht Korvetten nahmen Fahrt auf und verschwanden im
Weltraum.
Danach wurde es still auf der FRANCIS DRAKE. Sie stand eineinhalb Lichtmonate von der
Doppelsonne Darla-Copus entfernt. Das war die Distanz, die man mit einem Notsender noch gut
überbrücken konnte.
Atlan vertraute weiterhin den geschulten Leuten an Bord der OMASO. Wenn sich jetzt plötzlich
ein angeblich lahmgeschossener Freihändler in unmittelbarer Nähe der Doppelsonne über Funk
meldete und um Hilfe rief, mußten sie zu dem Schluß kommen, daß die Besatzung dieses
Schiffes von den Vorkommnissen auf der OMASO keine Ahnung hatte.
Es war 6.18 Uhr am 21. Oktober 2435. Gegen Mitternacht Standardzeit war die OMASO in den
Linearraum gegangen und unbemerkt verfolgt worden. Kein Mensch auf ihr konnte mit der geringsten
Berechtigung annehmen, der plötzlich SOS funkende Frachter sei etwa auf das Schlachtschiff
angesetzt worden.
Auf diesen rein logisch fundierten Berechnungen fußte Atlans Plan. Er war durchaus positiv zu
beurteilen, wenn die Kristalle nur einigermaßen logisch dachten. Sie würden unterdessen erfahren
haben, daß eine Verfolgung durch den Linearraum nicht möglich war. Dantons Halbraumspürer war
eine geheime Neuentwicklung. Niemand auf der OMASO wußte davon.
Roi betrat die Zentrale. Auf seiner Stirn klaffte eine fingerlange, heftig blutende
Rißwunde.
Melbar Kasom kam durch den Zentrallift. Er stieg vorsichtig über die ›Gefallenen‹ hinweg,
betrachtete fachmännisch die Maskerade und wendete sich an Atlan.
»In Ordnung. Alles ruhig an Bord, Sir. Dieses Kampfgas wirkt großartig. Ich habe die achtzig
Männer in einer Schleuse eingesperrt und einen fingerhutgroßen Druckbehälter ausgeblasen. Dann
habe ich sie auf die Stationen entlassen. Nach genau zwanzig Minuten fielen sie betäubt um. Das
ist ein Kampfmittel mit Zeitzünder, Sir. Jetzt, fünfundzwanzig Minuten nach dem Ausströmen, hat
das Gas seine Wirkung völlig verloren. Wenn wir das auf der OMASO anwenden können, fallen die
vierzehnhundert Mann zwanzig Minuten später um. Oh, König, wie sehen Sie denn aus? Auch
Maske?«
»Dachten Sie«, beklagte sich Roi. »Ihr Landsmann hat mich gestreichelt, wie er sagte. Ich
glaube, ich habe eine Gehirnerschütterung. Oro, mein Riechfläschchen – ach so, der Kerl
schläft ja auch schon. Na, dann eben nicht. Man kann sich auf den Pöbel nicht verlassen. Sire,
ich beginne zu resignieren.«
»Solange Sie nicht durchdrehen, sind Sie zu ertragen«, stellte Atlan nüchtern fest. Er blickte
auf die Uhr.
»Es wird Zeit. Gehen Sie in die Funkzentrale und drücken Sie auf die Knöpfe. Ihre Spezialisten
haben eine Allroundsendung vorbereitet. Wir werden im Halbmesser von knapp zwei Lichtmonaten gut
gehört. Hoffen
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