Silberband 052 - Exil im Hyperraum
Morgensonne rötlich färbten.
Der Ganjoprester begriff nicht, wie ein mindestens zehnjähriger Ette-Baum über Nacht mitten in ein Erdfruchtbeet kommen konnte. In den acht Jahren, seit er den Garten des Yshmire-Tempels betreute, war so etwas noch nicht vorgekommen, und überhaupt war es eine biologische Unmöglichkeit.
Entweder hatte jemand den Baum während der Nacht gepflanzt – oder ein Wunder war geschehen.
Poshok fröstelte in der kühlen Morgenbrise. Er zog seinen weißen Umhang enger um sich, dann blickte er nach oben, wo das Fanal noch immer leuchtete, gegen den Schein der Sonne aber etwas verblaßte.
Niemand hatte den Baum eingepflanzt. So etwas hinterließ Spuren. Doch nicht einmal ein paar Krümel Erde lagen herum, und keine der Erdfruchtpflanzen war beschädigt. Sie hörten einfach dort auf, wo der Stamm aus dem Boden kam.
Kein Zweifel, ein Wunder war geschehen, und das Zeichen des Ganjos mußte es bewirkt haben.
Poshok seufzte, dann wandte er sich um und rannte auf den Tempel zu, um den anderen Dienern von dem Wunder zu berichten.
Kaum war der Weißgekleidete verschwunden, da verblaßten die Konturen des Baumes, und Avimol in seinem rosafarbenen Umhang kam zum Vorschein.
Der Uarter ächzte.
Die Tarnung als Baum war sehr anstrengend gewesen. Sie hatte ihn zwar für die Dauer einer Nacht vor seinen Verfolgern geschützt, doch nun drohte sie zu einer Gefahr zu werden.
Der alte Mann, der den ›Baum‹ mit offenem Mund betrachtet hatte, glaubte vielleicht an ein durch übernatürliche Kräfte hervorgerufenes Wunder, aber seine Kollegen würden sicher nicht daran glauben, zumindest die ranghöheren nicht.
Der Biotarn-Techniker setzte mit einem großen Sprung auf den Plattenweg, um keine unnötigen Spuren zu hinterlassen. Dort, wo er über Nacht gestanden hatte, waren ohnehin einige Erdfruchtpflanzen zertreten worden.
Avimol zog die Kapuze über seinen Kopf und eilte davon. Er verbarg sich in einem Gebüsch, als ein Fluggleiter den Tempelgarten überflog. Man suchte ihn also noch immer. Außerdem suchte man zwei terranische Verbrecher, was die Unruhe in Pedoar natürlich noch verstärkt hatte. Hoffentlich fand man die Terraner bald, dann beruhigten sich die Pilger vielleicht.
Der Uarter wartete, bis der Fluggleiter verschwunden war, dann lief er weiter, bis zu einem kleinen Gerätehaus. Es war während der Nacht zweimal von Kommandos der Arrivapolizei durchsucht worden, und die aufgebrochene Tür stand noch offen.
Als vom Tempel erregte Stimmen herüberschallten, wußte Avimol, daß er nicht viel Zeit hatte. Er mußte eine einfache Tarnung wählen.
Er schlüpfte in das Gerätehaus und zog die Tür hinter sich zu. Danach öffnete er die Tasche mit seiner Biotarn-Ausrüstung. Die Möglichkeiten der kleinen Ausrüstung waren begrenzt; außer in einen Baum konnte er sich nur in eine giftige Pschonnak-Echse verwandeln – oder einfach geringe Änderungen an seinem Äußeren vornehmen.
Da es auf dem ARRIVANUM keine Pschonnak-Echsen gab, blieb nur die Möglichkeit einer äußerlich geringfügigen Korrektor. Avimol zögerte. Es ging gegen seine Berufsehre, sich mit einer Korrektur zu begnügen. Aber schließlich siegte sein nüchterner Realismus.
Etwa zehn Minuten später hatte sich der Uarter in einen blaßhäutigen Pilger mit langem weißem Haar und zartgliedrigen Händen verwandelt, dem die Robe um die dürren Glieder schlotterte.
Langsam tappte er zur Tür und spähte durch den Spalt, den er gelassen hatte. Avimol entblößte ›sein‹ lückenhaftes gelbes Gebiß zu einem höhnischen Grinsen, als er ungefähr zwanzig Diener der verschiedenen Klassen das Erdfruchtbeet umstehen sah, in dem der alte Mann den Baum entdeckt hatte. Die Ganjoprester diskutierten erregt. Vereinzelt vernahm Avimol Schimpfworte, die offenbar dem Alten zugedacht waren.
Man hielt ihn anscheinend für übergeschnappt, was nicht verwunderlich war, da sein Beweis sich in Luft aufgelöst hatte. Die niedergetretenen Pflanzen bewiesen höchstens, daß jemand im Beet gestanden hatte.
Der Uarter wartete geduldig, bis sich die Ganjoprester zerstreut hatten. Er wollte alles vermeiden, was die erregten Diener mißtrauisch machen konnte.
Danach schlurfte er gemächlich zu der kleinen Pforte, die in der Gartenmauer eingelassen war, stieß die Tür auf und trat auf die Straße.
Soeben fuhr ein Gleiter mit Arrivawächtern vorüber. Die Polizisten auf der Ladefläche musterten ihn gleichgültig. Sie suchten nicht nach einem
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