Silberband 063 - Das Tabora
Anblick immerwährende Gesundheit und ein langes Leben schenken. Bevor wir das Tor öffnen, sollt ihr mehr über die heilige Krone erfahren, die das Erbe unserer Vorfahren ist und die ihnen von den Göttern selbst geschenkt wurde.«
Es war Kun Tares schon jetzt klar, daß es sich nicht um eine gewöhnliche Krone handeln konnte. Aber das hatte er schon vorher gewußt, sonst stünde er jetzt nicht hier. Es mußte sich um eine längst vergessene Errungenschaft der ehemals hochtechnisierten Koltas handeln, die heute nur noch religiöse Bedeutung besaß. Das gab es oft bei Kulturvölkern, die ihre eigene Vergangenheit vergaßen.
Der Wächter fuhr fort: »Mit der Glückseligkeit der Krone ist ein Fluch verbunden. Nur Auserwählte dürfen sie sehen, denn wenn sie jeder sähe, ginge die Wirkung verloren. Aus dem Bringer des Heils würde der Bringer der Katastrophe.« Er gab seinen beiden Kollegen ein Zeichen. »Wir werden nun die heilige Halle der Krone betreten und kurze Zeit in ihr verweilen. Bleibt ganz ruhig und betrachtet die Krone, versenkt euch in Gebete und dankt den Göttern für die Gnade, die euch zuteil wurde. Dann werden wir wieder nach oben gehen, aber das Erlebnis wird euch bis ans Ende eurer Tage nicht mehr verlassen.«
Euch auch nicht! dachte Kun Tares grimmig und überlegte, wie er es anstellen sollte.
Das Tor schwang auf. Dahinter lag ein Raum im Dämmerlicht schwach brennender Fackeln. Die Pilger drängten vor, wurden jedoch von den Wächtern zur Ruhe ermahnt.
Kun Tares blieb gelassen. Mit einem Blick erfaßte er seine Umgebung und seine Chancen. Die Frontseite des Saales wurde von einem Tisch eingenommen, auf dem die bleierne Truhe stand, von der er schon vage vernommen hatte. Sie war geöffnet, und in ihrem Innern ruhte auf seidigen Polstern die Krone.
Zu Kun Tares Überraschung sah sie wirklich wie eine Krone aus, aber das geschickt angebrachte Gitternetz verbarg ihr Inneres. Sie war nicht größer als ein Kopf und schimmerte in einem gelblichen Rot.
Roh behauene Steinfiguren stellten berühmte Persönlichkeiten und Heilige aus der Geschichte der Koltas dar. Sie zierten die übrigen drei Wände der Halle.
Gut, dachte Kun Tares zufrieden. Sehr gut sogar! Es sind mindestens dreißig oder vierzig – da kommt es auf eine mehr oder weniger auch nicht mehr an.
Die Pilger drängten sich vor dem Tisch oder Altar, um die Krone anzustarren. Die Wächter sorgten dafür, daß keiner zu nahe herankam, aber man bemerkte die Routine, mit der sie ihre Pflicht erfüllten. Mit ihren Gedanken waren sie schon ganz woanders, vielleicht bei der Aufteilung der mitgebrachten Geschenke.
Kun Tares wollte nicht auffallen. Sein Plan war längst gefaßt, zumindest in allen Einzelheiten seit jenem Augenblick, in dem er den Saal betreten und die Krone gesehen hatte. Trotzdem blieb er in der Mitte der Pilger und kniete andächtig vor dem Altar nieder.
Schwer konnte die Krone nicht sein, aber kompakt – und vielleicht auch gefährlich. Kun Tares wußte, daß Blei Strahlen jeder Art auffing. Wenn also die Krone schon immer in einem Bleisarg ruhte, dann mußte sie auch Strahlen aussenden. Strahlen, die eine lebensverlängernde Wirkung hatten. Vor Tausenden von Jahren, das war ihm klar, war die Krone nichts anderes als ein Mittel der Regenerierung gewesen, das nichts mit religiösen Hintergründen zu tun hatte. Vielleicht hatte es sogar viele dieser ›Kronen‹ gegeben, aber nur diese eine war übriggeblieben.
Sie genügte, einer ganzen Welt ihren Stempel aufzudrücken.
Schweigend verharrten die Pilger, vom eintönigen Gemurmel der betenden Wächter fast in den Trancezustand versetzt. Jeder starrte die Krone an, als erwarte er von ihr sein ganzes Seelenheil oder ein sofortiges Wunder.
Rechts hinter Kun Tares stand die Steinfigur eines vor vielen tausend Jahren gestorbenen Herrschers, daneben die eines späteren Heiligen. Der Raum dazwischen war leer.
Und dann, einige Sekunden später, war er nicht mehr leer.
Und es fiel auch nicht auf, daß ein Pilger fehlte, als die Gruppe nach einer halben Stunde den Saal der Krone verließ.
Es war Kun Tares nicht schwergefallen, seine äußere Form umzuwandeln. Es war im Bruchteil einer Sekunde geschehen, und nun stand er scheinbar leblos zwischen den steinernen Silhouetten und wartete auf seine Stunde. Heute würde es keine Führung mehr geben, dessen war er sich sicher.
Trotzdem wartete er zwei Stunden. Die Fackeln waren nicht ausgelöscht worden. Seiner Schätzung nach
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