Silberband 063 - Das Tabora
indem sie den Bleikristall vorzeigten, der ihnen vom Hohepriester ihres Dorfes mitgegeben worden war. Auch Kun Tares besaß diesen Kristall, den er nun auf flacher Hand dem Wächter entgegenstreckte, der ihn nur kurz musterte und dann dem nächsten Pilger zuwinkte.
Kun Tares ging weiter. Das Tor blieb zurück, und er befand sich jetzt im inneren Burghof, wo sich die Wallfahrer in Gruppen sammelten und diskutierten. Niemand wußte genau, wie die letzte Auswahl vor sich gehen würde. Es gab zu wenige, die die Krone gesehen hatten und erzählen konnten, und jeder erzählte die Geschichte ein wenig anders.
Gegen Mittag wurde das Tor geschlossen.
Sieben in Schwarz gekleidete Wächter der Krone standen hinter einem langen Holztisch, der unmittelbar neben dem Eingang zum Burginnern auf Steinsockeln angebracht war. Die Pilger mußten sich in einer Reihe aufstellen und an diesem Tisch vorbeigehen. Dabei breiteten sie ihre Geschenke aus, die von den sieben Wächtern dann begutachtet wurden. Wie immer die Wahl auch ausfiel, die Pilger waren ihre Geschenke in jedem Fall für immer los.
Beim Verlassen des Tisches bekamen die Wallfahrer, so als wäre das eine Art Quittung, einen Stein in die Hand gedrückt. Der Stein war nur faustgroß und rot, blau, grün oder gelb. Niemand konnte wissen, was die Farbe bedeutete, denn ihre Anzahl war gleich. Kun Tares konnte sich ausrechnen, daß nur ein Viertel der anwesenden Pilger die Krone sehen durften – immerhin noch mehr, als er angenommen hatte. Eine der Farben bedeutete die Genehmigung, aber welche Farbe das war, konnte jetzt noch niemand wissen.
Ihm blieb keine Zeit mehr, über das Rechenproblem nachzudenken. Die Reihe kam an ihn.
Er öffnete sein Bündel und breitete die Geschenke aus. Natürlich hatte er unterwegs heimlich nachgesehen, was ihm der Hohepriester eingepackt hatte. Wirklich nichts Besonderes, nach seinem eigenen Geschmack. Ein paar wunderschöne Bleifiguren, einige Bergkristalle und Diamanten, dann ein kleines Tongefäß, schließlich eine kunstvoll geschnitzte Holztruhe, nicht größer als eine Hand.
Kun Tares hielt nicht viel von diesen Geschenken, aber er wußte, daß die Koltas andere Wertbegriffe besaßen als er. Also hatte er ein recht gutes Gewissen, als er sein Bündel auspackte. Man betrachtete ihn mit einigem Wohlwollen und gab ihm einen grünen Stein.
Der nächste Pilger …
Kun Tares ging langsam zu den Wallfahrern, die auf die Entscheidung warteten. Einige andere hatten auch einen grünen Stein, den sie unschlüssig in der Hand drehten und nicht so recht zu wissen schienen, was sie damit anfangen sollten.
»Der Stein ist das Zeichen«, vermutete jemand. »Umsonst haben sie uns keinen Stein gegeben.«
Kun Tares konnte ihm nur beipflichten, auch wenn er selbst nicht ahnte, nach welchen Gesichtspunkten die Steine ihrer Farbe nach verteilt wurden. Vielleicht war alles gar nichts anderes als ein Glücksspiel, bei dem jeder Bewerber die gleichen Chancen hatte.
Es war eine langwierige Prozedur. In dem Hof war es nicht gerade warm, und es gab nur ein offenes Feuer, um das sich die frierenden Pilger drängten, um sich aufzuwärmen. Manchmal vergaßen sie sogar ihre Würde und stritten sich um den besten Platz.
Kun Tares stand abseits. In seiner Tasche ruhte der grüne Stein. In der anderen verwahrte er die Reste seiner Lebensmittel. Sie reichten noch für einen Tag, aber wenn er seine ursprüngliche Gestalt annahm, kam er auch ohne Nahrung aus.
Es dunkelte bereits, als der letzte der Wallfahrer seine Geschenke abgeliefert hatte. Die sieben Wächter der Krone zogen sich zurück, um ihre Entscheidung zu treffen, falls es da überhaupt noch eine Entscheidung zu treffen gab. Sie konnten nur zwischen den vier Farben wählen.
War das alles wirklich nur ein Glücksspiel? Oder wußten die Wächter schon vorher, welche Farbe die Krone sehen durfte?
Kun Tares konnte sich seine Chance klar ausrechnen: eins zu drei!
Es war Rot!
Jeder, der einen roten Stein erhalten hatte, war von den Göttern ausgewählt worden, die Krone der Koltas zu sehen. Kun Tares hatte das Spiel verloren.
Er hatte fast damit gerechnet, sich aber noch keinen festen Plan zurechtgelegt, wie er das Mißgeschick ungeschehen machen könnte. Es hatte wenig Sinn, einfach die Gestalt eines der anderen Pilger anzunehmen. Er benötigte einfach den roten Stein, und dann konnte er aussehen wie jeder andere der Wallfahrer. In dem relativ engen Hof jedoch war es unmöglich, jemandem den Stein
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