Silberband 071 - Das Erbe der Yulocs
Liftschächten, etwa ein Drittel der Distanz zwischen den Schächten und dem äußeren Rand der betreffenden Ebene, leuchteten zwei kugelförmige Bezirke des Modells auf. Sie waren, laut dieser Anordnung, miteinander durch einen breiten Korridor verbunden und zugänglich durch einen langen Querstollen. Dort, ebenfalls von jener merkwürdigen schwammartigen Materie umgeben, lagerten also die Daten, die Zeno und Rhodan suchten.
Rhodan prägte sich den Weg ein. Er zählte insgesamt dreißig Ebenen, die sie im Lift überwinden mußten. Dann befanden sie sich irgendwo im Zentrum der Felsenplatte Nuprels.
Zeno hob beide Arme und studierte seinerseits den Weg, da Gayt-Coor mehrmals die Kontakte betätigte.
»Wir sind hier mehrere hundert Meter über dem Boden. Die Luft ist kalt, dünn und macht schläfrig. Legen wir eine Pause ein, oder suchen wir sofort weiter?«
Rhodan ließ seine Blicke zwischen dem Modell und den beiden Männern hin und her gehen.
»Der Unterschied von Tag und Nacht bedeutet hier nichts. Ich glaube, wir sollten eine kleine Pause einlegen. Was meinen Sie dazu, Gayt-Coor?«
»Einverstanden.«
Jetzt wurden sie etwas ruhiger. Sie hatten wieder Hoffnung. In kurzer Zeit würden sie die Informationen sichten können.
»Bleiben wir hier, schlafen und essen wir ein wenig«, schlug Zeno vor. »Ich fühle mich ziemlich abgespannt.«
Sie hatten Zeit. Es spielte keine Rolle, ob sie einige Stunden früher oder später zu ihrem letzten Versuch aufbrachen. Sie suchten sich eine Ecke des Raumes, die mit einiger Phantasie als gemütlich bezeichnet werden konnte, packten ihre Vorräte aus und legten sich dann hin. Bevor Rhodan einschlief, hatte er eine seltsame Vision. Oder war es wieder dieser unhörbare Ruf aus der Vergangenheit?
Er stürzte, halb im Schlaf und halb wach, in eine gewaltige Dunkelheit, die von den Stimmen längst gestorbener Wesen erfüllt war.
Sie waren auf eine lebensgefährliche Art und Weise mächtig und tödlich. Sie waren nicht nur Stimmen, sondern Individuen, die miteinander sprachen, dialogisierten und diskutierten. Ihre Gedanken waren unvorstellbar fremd und rührten an die Wurzeln des Lebens. Die Ideen, die Rhodan in diesem Traum auffing, waren von kosmischer Gültigkeit. Wahrheiten, die erschauern ließen. Meditationen, die furchtbar in ihrer Bedeutung waren. Alle Begriffe, die zur düsteren Seite des Lebens gehörten, waren vorhanden und erhielten hier ihre Deutung.
Die Schmerzen …
Rhodan warf sich unruhig herum und blieb dennoch in diesem Traum gefangen. Er wußte, daß diese Stimmen litten, daß die Träger der Stimmen längst gestorben waren und dennoch lebten.
Die Enttäuschungen …
Eine seltsame Übereinstimmung erfüllte ihn. Sie redeten, qualvoll langsam und in einer Sprache, die jeder verstand, von den zahllosen, in die Millionen gehenden Enttäuschungen eines jeden denkenden Wesens. Die Flut der Erkenntnisse, die hier hin und her wogten wie die Wellen in der Brandung und ebensoviel – oder -wenig – ausrichteten, waren auch seine, Rhodans, Gedanken.
Der Tod …
Einerseits endgültig, weil er die Wesen ihrer Hülle beraubte, die zugleich Last und Vergnügen war. Andererseits nur der Schnittpunkt, an dem sich der Geist vom Körper trennte. Diese Geister hier waren konserviert und offensichtlich vorhanden, denn sie duldeten den schweigenden Rhodan unter sich und diskutierten miteinander.
Wie lange schon? Immer wieder über die gleichen Probleme? Mit denselben Worten? Jede Nacht in dieser Stadt? Waren es die schwebenden Gedanken der ausgestorbenen Yulocs?
Nach Stunden wachte Rhodan gefoltert und schweißgebadet auf. Seine beiden Freunde schienen gut und tief geschlafen zu haben. Er nicht. Lange saß er wach da, überlegte und kam nur zu einem einzigen Schluß. Alle Überlegungen mündeten darin, daß sie versuchen sollten, schnell dort hinunterzufahren, die Daten zu sichten und dann diese Stadt zu verlassen. Eine Stadt voller Geister, eine todgeweihte Geisterstadt.
Beim Geräusch der Schritte, mit denen Rhodan auf das Modell zuging, erwachten Zeno und Gayt-Coor.
»Was haben Sie vor, Freund Rhodan?« fragte Zeno.
»Ich starte nach unten. Ich habe mir nur noch einmal die Lage der beiden Räume eingeprägt.«
Mühsam stemmten sich Gayt-Coor und der Accalaurie hoch. Das Schicksal hatte sie auf dramatische Weise zusammengeführt, und jetzt akzeptierten sie diese Konstellation. Alle drei waren klug genug, zu wissen, daß jeder auf die Hilfe des anderen
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