Silberband 081 - Aphilie
Gefühllosigkeit werden die Aktivatorträger die Einzigen sein, die weiterhin wie normale Menschen empfinden. Leider bin ich mir noch nicht im Klaren, ob ich mich darüber freuen oder ob ich vor dieser Aussicht erschrecken soll.«
Es war einer der wenigen Abende, die Perry Rhodan in seinem geräumigen Appartement verbrachte. Es lag an der Peripherie des Kerns von Imperium-Alpha, oberirdisch und mit Panoramafenstern ausgestattet, die den Blick auf Terrania erlaubten.
Medaillons roter Schimmer hing noch zwischen den Wolken, obwohl der riesige Glutball der Sonne längst hinter dem Horizont verschwunden war. Gedankenverloren blickte Rhodan hinaus in die purpurne Dämmerung. Hinter ihm erklang im Halbdunkel des Raumes die Stimme einer Frau, in der Zärtlichkeit ebenso mitschwang wie verhaltene Sorge.
»Hat die fürchterliche Veränderung endlich einen Namen? Weiß man schon, wie man sie nennen muss, wenn man darüber spricht?«
Ein bitterer Zug erschien auf Rhodans Gesicht. Er antwortete, ohne sich umzuwenden: »Du kennst Geoffry schlecht, wenn du glaubst, er setzte uns über ein Phänomen in Kenntnis, ohne sofort einen Namen dafür parat zu haben.«
»Wie nennt er es?«, wollte Orana wissen.
»Aphilie«, lautete die Antwort, »der Mangel an Liebe. Nicht triebhafter Liebe, sondern Nächstenliebe.«
»Aphilie«, wiederholte Orana flüsternd. »Wie harmlos das klingt, aber dennoch ist es drauf und dran, die Menschheit zu zerstören.«
»Vielleicht sehen wir die Vorfälle zu schwarz«, versuchte Rhodan, sie zu trösten. »Auch Wesen, die nur logisch denken, können überleben.«
»Überleben schon«, gab Orana zu. »Aber was für eine Welt wird das sein? Stell dir vor: Die Liebe einer Mutter zu ihrem Kind ist ein Naturinstinkt, sie entspringt dem Trieb zur Arterhaltung. Mütter werden also fortfahren, sich um ihre Kinder zu sorgen, sie zu schützen und ihnen ein Heim zu bieten. Was aber werden sie empfinden, wenn ihre Liebe nicht erwidert wird? Denn die Liebe des Kindes zu seiner Mutter entspringt keinem Urinstinkt.«
»Die Mutter wird nicht darauf achten, weil ihr solche Emotionen fremd sind«, widersprach Rhodan.
Unbeeindruckt von diesem logischen Einwand, fuhr Orana mit wachsendem Eifer fort: »Sobald du mit anderen beim Essen sitzt und deinem Nebenmann bei der Auswahl den Vortritt lässt, aus welchem Motiv heraus handelst du da?«
»Ich weiß nicht«, antwortete Rhodan zögernd. »Gute Erziehung?«
»Auch das. Aber ich wette, in den meisten Fällen macht es dir sogar Spaß, dem anderen den Vortritt zu lassen. Ist das nur ein Resultat der guten Erziehung? Oder spricht hier der gute Mensch aus dir, der noch Achtung vor dem Nächsten empfindet?«
»Worauf willst du hinaus? Dass sich in Zukunft die Terraner um ihr Roastbeef streiten werden?«
»Nicht nur das. Die zahllosen Kleinigkeiten, die bis heute das Leben erleichtern, werden wegfallen. Der Mann, der einem anderen hilft, eine schwere Last zu tragen. Die Frau, die beim Besteigen des Rohrbahnzuges einem gebrechlichen Menschen den Vortritt lässt. Das Kind, das einem andern ein Stück Süßigkeit schenkt. Und so weiter … und so weiter. Und weißt du was?«
»Was …?«
»Es wird Mord und Totschlag geben. Um die Hilfe beim Lastentragen, um den Vortritt beim Einsteigen in den Rohrbahnzug, um das Stück Süßigkeit. Ihr werdet Gesetze erlassen müssen, die sogar die lächerlichste Kleinigkeit regeln. All die Dinge, die Menschen jetzt noch ohne Aufsicht und ohne Aufforderung tun, werden vom Gesetz geregelt, wenn die Erde nicht im absoluten Chaos versinken soll. Ihr werdet Gesetze brauchen, wie lang Hundeleinen sein dürfen, wann Hunde ausgeführt werden und wie laut sie bellen dürfen. Wie viel Taschengeld Eltern ihren Kindern geben und wie viel Arbeit die Kinder im Haushalt leisten müssen. Wer als Erster in die Rohrbahn einsteigen darf und wie viel Platz man auf einer Sitzbank beanspruchen kann. Gesetze, wie oft und wie gründlich man sich waschen muss, um dem Nachbarn nicht durch unangenehmen Körpergeruch auf die Nerven zu fallen, und Gesetze, wie viel Deodorierflüssigkeit man in einer öffentlichen Bedürfnisanstalt verwenden darf, damit der Staat oder die Stadt die Behälter nicht alle fünf Minuten neu auffüllen muss …« Orana lachte bitter. »Und sobald alle Gesetze verabschiedet sind, werdet ihr feststellen, dass ihr trotz aller Roboter nicht in der Lage seid, ihre Einhaltung zu überwachen. An irgendeiner Stelle wird das Chaos schließlich
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